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Kohärenzgefühl: Eine zuversichtliche Einstellung zum Leben


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Das Kohärenzgefühl oder der Kohärenzsinn (Sense of Coherence), ist ein zentrales Konstrukt in der Gesundheitspsychologie, das von Antonovsky (1987) im Rahmen seiner Forschung zur Entstehung und zum Erhalt von Gesundheit (=Salutogenese) entwickelt wurde. Es handelt sich um eine umfassende Weltsicht und Lebenseinstellung, die mit dem Gefühl der Zuversicht einhergeht. Zudem hilft das Kohärenzgefühl beim Umgang mit belastenden Situationen und ermöglicht Menschen, stressige Erfahrungen zu bewältigen, ohne dabei emotional oder gesundheitlich beeinträchtigt zu werden. Dieser Artikel beleuchtet die Definition des Kohärenzgefühls, die drei verschiedenen Komponenten sowie den Zusammenhang mit Stressbewältigung und Gesundheit und schließt mit Implikationen für Angehörige von psychisch Erkrankten.


 

Was ist das Kohärenzgefühl?

Das von Antonovsky entwickelte Kohärenzgefühl ist ein zentrales Konzept in der Salutogenese. Es beschreibt die globale Orientierung einer Person gegenüber ihrer Umwelt und ist mit einem andauernden Gefühl der Zuversicht verbunden. Mit dem Kohärenzgefühl ist die Überzeugung gemeint, dass das Leben trotz aller Belastungen und Risiken einen Sinn hat und auftretende Probleme oder Unwägbarkeiten zu verstehen sind und sich überwinden lassen. Zudem hilft es dabei, stresshafte Erfahrungen mit geringen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu überstehen. Kennzeichnend ist ein anhaltendes Grundvertrauen in die eigenen Ressourcen, das durch frühe Lebenserfahrungen geprägt wird und auch im Erwachsenenalter gestärkt werden kann. Kohärenzgefühl entsteht aus den Erfahrungen im Leben, z.B. aus der sozialen Teilhabe und der Balance von Anforderungen, die Menschen auf Basis der ihnen verfügbaren Ressourcen machen. Menschen erkennen dadurch einen inneren Zusammenhang und erlangen die Überzeugung, am sozialen Leben beteiligt zu sein und ihr eigenes Leben gestalten zu können.


Komponenten des Kohärenzgefühls

Beim Kohärenzgefühl handelt es sich um ein mehrdimensionales Konstrukt, das sich aus drei Komponenten zusammensetzt: Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit. Diese drei Bestandteile sind als zusammenhängend zu verstehen und sie sind notwendig für das Kohärenzgefühl einer Person.


  1. Gefühl der Verstehbarkeit: Die kognitive Komponente bezieht sich darauf, wie strukturiert und erklärbar auftretende Ereignisse im Leben wahrgenommen werden. Personen mit einem starken Kohärenzgefühl können Lebensereignisse besser erklären und sie erleben ihre Lebenswelt als geordnet und strukturiert. Das Gefühl der Verstehbarkeit umfasst die Wahrnehmung der inneren und äußeren Umwelt als klar und geordnet.

  2. Gefühl der Bewältigbarkeit: Hier wird reflektiert, ob die vorhandenen internen und externen Ressourcen wie Optimismus oder soziale Unterstützung als ausreichend wahrgenommen werden, um mit den Anforderungen des Lebens umzugehen. Es handelt sich um eine kognitive Einschätzung und um ein Gefühl der subjektiven Kontrollierbarkeit. Dadurch entsteht eine Zuversicht in die eigenen Handlungsmöglichkeiten, verbunden mit dem Gefühl, die anstehenden Herausforderungen bewältigen zu können.

  3. Gefühl der Sinnhaftigkeit: Diese Komponente bezieht sich auf die Motivation und fragt danach, ob Menschen eine Bedeutung in den Anforderungen des Lebens sehen und ob sie diese als Herausforderungen betrachten, für die sich Anstrengung und Engagement lohnen. Es geht darum, das eigene Leben und seine Umstände als sinnvoll, wichtig und emotional bedeutsam zu empfinden. Bei hoher Sinnhaftigkeit werden Lebensbereiche entdeckt, die als wertvoll eingeschätzt werden und für die es sich einzusetzen lohnt.

Nach Faltermaier (2023) ist das Gefühl der Sinnhaftigkeit die wichtigste Komponente, da Menschen ohne emotional bedeutsame Lebensbereiche keine ausreichende Grundlage für die Verstehbarkeit und Bewältigbarkeit ihrer eigenen Umwelt haben.


Stressbewältigung und Kohärenzgefühl

Ein starkes Kohärenzgefühl ermöglicht es Menschen, Stressoren besser zu bewältigen. Es führt dazu, dass eine schwierige Situation im Zuge der primären Stressbewertung weniger bedrohlich für das Wohlbefinden und eher als Herausforderung sowie als persönlich bedeutsam interpretiert wird. Zudem werden stressauslösende Situationen eher als verständlich und vorhersehbar wahrgenommen. Menschen mit einem ausgeprägten Kohärenzsinn entwickeln bei der sekundären Stressbewertung die Einstellung, dass sie die notwendigen Ressourcen besitzen, um die anstehenden Anforderungen adäquat und flexibel zu bewältigen. In der tertiären Stressbewertung schließlich können Personen mit hohem Kohärenzgefühl bei erfolgreicher Bewältigung ihr Handeln besser einschätzen.


Hinsichtlich des subjektiven Stresserlebens zeigte sich ein stresspuffernder Effekt: Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl hatten weniger Alltagsbelastungen und weniger Arbeitsstress. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl mit einem situationsangemessenen Einsatz von Bewältigungsstrategien (Coping) verbunden ist. Es werden eher annähernde Bewältigungsstrategien verwendet, wie z.B. Akzeptanz, Entspannung oder Problemlösen. Die Forschung konnte zeigen, dass sich das Kohärenzgefühl indirekt über die Auswahl passender Strategien zur Stressbewältigung positiv auf die körperliche und psychische Gesundheit auswirkt.


Kohärenzgefühl und Gesundheit

Das Kohärenzgefühl entsteht aus Erfahrungen im Leben und wirkt sich indirekt auf die Gesundheit aus, indem es die Bewältigung von Stressoren unterstützt. Es kann mithilfe von Fragebögen gemessen werden und zeigt positive Zusammenhänge mit psychischer und körperlicher Gesundheit. In der Salutogenese wird davon ausgegangen, dass Menschen mit einem hoch ausgeprägten Kohärenzgefühl besser in der Lage sind, gesundheitsförderliche Ressourcen (z.B. soziale Unterstützung, Optimismus) zu aktivieren und einzusetzen. Studien konnten zeigen, dass ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl langfristig positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit hat. Dies wurde dadurch erklärt, dass Kohärenzsinn mit günstigen Bewertungen und gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen einhergeht. Menschen mit einem starken Kohärenzsinn haben oft eine höhere Lebensqualität, ein besseres Wohlbefinden und weniger Symptome von Ängstlichkeit und Depressivität. Zudem wurde festgestellt, dass ein hohes Kohärenzgefühl mit weniger körperlichen Beschwerden, geringeren Erkrankungsraten und einer niedrigeren Sterblichkeitsrate verbunden ist.


Implikationen für Angehörige von psychisch Erkrankten

Für Angehörige von psychisch Erkrankten kann das Verständnis des Kohärenzgefühls eine wichtige Rolle spielen. Durch die Stärkung ihres eigenen Kohärenzsinns können sie besser mit den Belastungen umgehen, die mit der Unterstützung eines geliebten Menschen mit psychischer Erkrankung einhergehen. Sie sind dadurch in der Lage, ihre eigene Umwelt besser zu verstehen, die notwendigen Ressourcen flexibel einzusetzen und einen tieferen Sinn in diesem Lebensbereich zu finden. Indem sie ihre Fähigkeit zur Stressbewältigung verbessern und selbstreflexive Erfahrungen sammeln, können sie ihre eigene psychische Gesundheit erhalten und gleichzeitig eine unterstützende und wertvolle Rolle für ihre Liebsten einnehmen.


Fazit

Das Kohärenzgefühl ist eine aus Lebenserfahrungen entwickelte Zuversicht, die Menschen dabei unterstützt, stressige Situationen zu bewältigen und ihre Gesundheit zu erhalten. Durch die Stärkung des Kohärenzsinns können Angehörige von psychisch Erkrankten besser für sich selbst sorgen und gleichzeitig eine unterstützende Rolle für ihre Liebsten einnehmen. Es ist daher enorm wichtig, die Bedeutung des Kohärenzgefühls für sich und andere zu erkennen, das Grundvertrauen in die Bewältigbarkeit von Situationen zu stärken und ein Gefühl der Zuversicht zu fördern.


Quellen

Antonovsky, A. (1987). Unraveling the mystery of health: How people manage stress and stay well. London: Sage.
 
Faltermaier, T. (2023). Gesundheitspsychologie (3rd ed.). Kohlhammer Verlag. https://doi.org/10.17433/978-3-17-041183-8

Faltermaier, T. & Dietrich, R. (2021). Kohärenzgefühl im Dorsch Lexikon der Psychologie. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/kohaerenzgefuehl#search=cd46397290233ecec56118526adefc7b&offset=0

Feldt, T., Leskinen, E., Koskenvuo, M., Suominen, S., Vahtera, J. & Kivimäki, M. (2011). Development of sense of coherence in adulthood: a person-centered approach. The population-based HeSSup cohort study. Quality of life research : an international journal of quality of life aspects of treatment, care and rehabilitation, 20(1), 69–79. https://doi.org/10.1007/s11136-010-9720-7

Kenne Sarenmalm, E., Browall, M., Persson, L.‑O., Fall-Dickson, J. & Gaston-Johansson, F. (2013). Relationship of sense of coherence to stressful events, coping strategies, health status, and quality of life in women with breast cancer. Psycho-oncology, 22(1), 20–27. https://doi.org/10.1002/pon.2053

Kennedy, P., Lude, P., Elfström, M. L. & Smithson, E. (2010). Sense of coherence and psychological outcomes in people with spinal cord injury: appraisals and behavioural responses. British journal of health psychology, 15(Pt 3), 611–621. https://doi.org/10.1348/135910709X478222

Salewski, C., Vollmann, M. & Albers, L. (2020). Gesundheitspsychologische Modelle zu Stress, Stressbewältigung und Prävention/Gesundheitsförderung. Hagen: FernUniversität in Hagen, Fakultät für Psychologie. Studienbrief 36673

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