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Selbstmitgefühl - für uns und andere


Foto von Puwadon Sang-ngern: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-herz-hand-rosa-9666380/

Gerade für Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen kann es sehr hilfreich sein, eine geeignete Strategie zu haben, die in schweren Zeiten die Belastungen reduziert und für psychisches Wohlbefinden sorgt. Im Folgenden erfährst du mehr über Selbstmitgefühl, das aus drei Komponenten (Achtsamkeit, geteilte Menschlichkeit, Selbstfreundlichkeit) besteht und mit zahlreichen gesundheitlichen Vorteilen einhergeht. Die Forschung hat vielfach gezeigt, dass Selbstmitgefühl nicht nur das emotionale Gleichgewicht fördert, sondern auch Stress reduziert und die psychische Widerstandsfähigkeit stärkt. Entdecke, wie du Selbstmitgefühl entwickeln kannst und welche Möglichkeiten es gibt, Übungen zu Selbstmitgefühl in deinen Alltag zu integrieren.


 

Was ist Selbstmitgefühl?  

Selbstmitgefühl ist die Fähigkeit, sich selbst gegenüber genauso freundlich und mitfühlend zu sein, wie wir freundlich und mitfühlend für uns nahestehende Menschen sind. Viele Menschen verhalten sich sehr unterstützend gegenüber anderen, während sie sich selbst stark kritisieren und böse Dinge an den Kopf werfen. Mit Selbstmitgefühl nehmen wir stattdessen eine wohlwollende und unterstützende Haltung uns selbst gegenüber ein, während wir gleichzeitig unsere Fehler und Schwächen anerkennen und sie akzeptieren. Der aus der buddhistischen Philosophie kommende Begriff wurde 2003 von Kristin Neff in die wissenschaftliche Forschung eingebracht und umfasst drei Komponenten: Achtsamkeit, geteilte Menschlichkeit und Selbstfreundlichkeit.


Achtsamkeit meint, sich auf den gegenwärtigen Moment im Hier und Jetzt zu konzentrieren, ohne ihn zu bewerten und sich erlauben, auch die schmerzhaften Gefühle zu spüren. Um Mitgefühl für uns selbst zu haben, müssen wir gewillt sein, nach innen zu schauen und zu bemerken, dass es uns momentan nicht gut geht.  Dabei ist wichtig, sich nicht zu stark mit den eigenen negativen Gedanken und Gefühlen zu identifizieren, sondern stattdessen eine Perspektive von außen einzunehmen, die mit Offenheit und Klarheit beobachtet, was gerade geschieht.


Geteilte Menschlichkeit betont, dass wir nicht isoliert sind, sondern dass alle Menschen schwere Zeiten durchmachen müssen und mit Schmerzen und Verlusten konfrontiert sind. Wenn wir Fehler machen oder uns unzulänglich fühlen, denken wir oft, dass wir die einzigen sind, denen es so geht. Diese emotionale Reaktion verzerrt aber die Realität, da es zum Menschsein dazu gehört, unvollkommen zu sein, zu leiden und mit Herausforderungen konfrontiert zu werden.


Selbstfreundlichkeit meint eine verständnisvolle und wohlwollende Haltung sich selbst gegenüber. Dabei geht es nicht nur darum mit permanenter Selbstkritik aufzuhören, sondern sich aktiv mit dem gegenwärtigen Unwohlsein auseinanderzusetzen und sich etwas Gutes zu tun.  Genauso wie wir freundlich und unterstützend für unsere Angehörigen da sind, wenn es ihnen schlecht geht, kümmern wir uns einfühlsam um uns selbst, wenn es uns nicht gut geht.


Gesundheitliche Vorteile von Selbstmitgefühl: 


  • Weniger psychisches Leiden: Über 4000 wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Selbstmitgefühl mit einem verbesserten psychischen Wohlbefinden, geringerem Stress und höherer Resilienz verbunden ist. Selbstmitgefühl ist eine wirksame Methode zur Reduzierung belastender Gedanken und Emotionen und es ist in der Forschung gut belegt, dass ein höheres Selbstmitgefühl mit reduzierten psychischen Leiden einhergeht. Hierfür sind nach Ansicht der Forschenden weniger negatives Denken, weniger Verstrickung in die negativen Gedanken und bessere Fähigkeiten zur Emotionsregulation verantwortlich. Zudem führt Selbstmitgefühl dazu, dass wir weniger Scham empfinden, wenn wir uns an belastende Lebensereignisse erinnern.

  • Mehr Lebenszufriedenheit: Selbstmitgefühl geht auf der anderen Seite mit größerer Lebenszufriedenheit einher, sowie mit mehr Vitalität, Dankbarkeit und Hoffnung. Weiter wird angenommen, dass Selbstmitgefühl basale psychologische Bedürfnisse stillt, wie Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit. Dies ist der Grund dafür, warum Selbstmitgefühl positive mentale Zustände verursachen und den Blick auf die guten Seiten des Lebens erweitern kann. Selbstmitgefühl ist zudem mit vielen weiteren gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen verbunden, wie weniger Rauchen, einem gesünderen Essverhalten, erhöhter körperlicher Aktivität, besserer Gesundheitsvorsorge und verbessertem Schlaf.

  • Selbstmitgefühl hilft auch anderen: Gerade für Angehörige von psychisch Erkrankten ist es wichtig zu betonen, dass Selbstmitgefühl nicht bedeutet, dass ich mich nur noch um mich und nicht mehr um meine Liebsten kümmere. Die Forschung hat gezeigt, dass Selbstmitgefühl zu einer erhöhten Verbundenheit mit anderen führt, sowie mehr Perspektivenübernahme und ein Verzeihen von Unzulänglichkeiten ermöglicht. In einer Studie wurde nachgewiesen, dass selbstmitfühlende Personen, die sich um eine ältere Person mit Demenz kümmerten, weniger Belastungen empfanden und bessere Bewältigungsstrategien hatten.


Wie kann ich Selbstmitgefühl entwickeln?


Trainingsprogramm Achtsamkeitsbasiertes Selbstmitgefühl

Selbstmitgefühl ist keine feststehenden Persönlichkeitseigenschaft, sondern kann gelernt und praktiziert werden, egal ob Menschen psychisch belastet sind oder nicht. Während es im klinischen Kontext primär das Ziel ist, freundlicher mit sich selbst und weniger verurteilend in Bezug auf eine eigene psychische Erkrankung zu sein, gibt es auch ein achtwöchiges Trainingsprogramm (Achtsamkeitsbasiertes-Selbstmitgefühl), das Menschen helfen soll, mehr Selbstmitgefühl zu entwickeln und Achtsamkeit als grundlegende Basis zu stärken. Es beinhaltet schriftliche Übungen, Meditationen und für den Alltag angepasste Praktiken. Eine aktuelle Studie belegt, dass dieses Training bei Sportler/innen zu mehr Selbstmitgefühl, weniger Selbstkritik und einer verbesserten wahrgenommenen sportlichen Leistung führt.


Sich selbst Mitgefühl schenken

Eine kurze Übung, die du gut in deinen Alltag integrieren kannst, ist die Folgende:

  • Denke an eine Situation in deinem Leben, die schwierig ist und dich stresst. Stelle dir die Situation vor und schaue, ob du Stress und Unwohlsein in deinem Körper spürst.

  • Jetzt sage dir die folgenden Sätze:

Ich bin im Moment gerade im Stress, dieser Moment schmerzt. (Achtsamkeit)
Anderen Menschen geht es ähnlich. Ich bin nicht allein. (Geteilte Menschlichkeit)
Möge ich freundlich zu mir sein. Möge ich mich so akzeptieren wie ich bin. (Selbstfreundlichkeit)

Vorsicht beim Üben

Hierbei ist zu beachten, dass das Üben vielen anfänglich schwerfällt, da die Situation ungewohnt ist und alte Verletzungen hervorrufen kann. Es erfordert daher Geduld, sich langsam an die Übungen zu gewöhnen. Bei überwältigenden Emotionen kann die selbstmitfühlende Reaktion auch darin bestehen, zu pausieren und sich auf den Atem zu konzentrieren. Für den Einstieg empfehlen sich auch weitere frei verfügbare, angeleitete Meditationen, die auf den folgenden Websites kostenlos abgerufen werden können:


Fazit

Selbst­mitgefühl bedeutet, für uns in der gleichen verständnis­vollen und unter­stützenden Art und Weise da zu sein, wie wir für einen nahestehenden Menschen da sind, der vielleicht unter einer psychischen Erkrankung leidet. Selbstmitgefühl ist erlernbar, macht resilienter, bietet viele gesundheitliche Vorteile und ist eine Möglichkeit, die gefühlte Isolation zwischen Individuen zu überwinden und mitfühlender mit Menschen auf dieser Welt zu sein.



Quellen

Braehler, C. & Neff, K. (2020). Chapter 20 - Self-compassion in PTSD. In M. T. Tull & N. A. Kimbrel (Hrsg.), Emotion in posttraumatic stress disorder: Etiology assessment, neurobiology and treatment (S. 567–596). Academic Press. https://doi.org/10.1016/B978-0-12-816022-0.00020-X
Braehler, C. (2023, 17. Oktober). Meditationen - Christine Brähler. https://www.christinebraehler.com/de/meditationen
Ferrari, M., Hunt, C., Harrysunker, A., Abbott, M. J., Beath, A. P. & Einstein, D. A. (2019). Self-Compassion Interventions and Psychosocial Outcomes: a Meta-Analysis of RCTs. Mindfulness, 10(8), 1455–1473. https://doi.org/10.1007/s12671-019-01134-6
Lloyd, J., Muers, J., Patterson, T. G. & Marczak, M. (2019). Self-Compassion, Coping Strategies, and Caregiver Burden in Caregivers of People with Dementia. Clinical gerontologist, 42(1), 47–59. https://doi.org/10.1080/07317115.2018.1461162
Neff, K. & Germer, C. (2022). The role of self-compassion in psychotherapy. World Psychiatry, 21(1), 58–59. https://doi.org/10.1002/wps.20925
Neff, K. D. (2023). Self-Compassion: Theory, Method, Research, and Intervention. Annual review of psychology, 74, 193–218. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-032420-031047
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Self-Compassion. (2024, 22. Januar). Exercises. https://self-compassion.org/category/exercises/#guided-meditations
Tull, M. T. & Kimbrel, N. A. (Hrsg.). (2020). Emotion in posttraumatic stress disorder: Etiology assessment, neurobiology and treatment. Academic Press.







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