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Folie à deux



Mit dem Erscheinungsdatum des zweiten Joker Films in diesem Jahr, rückt das namensgebende, über 150 Jahre alte, Konzept der "Folie à deux" wieder zurück in den popkulturellen Vordergrund. Nun stellen sich aber folgende Fragen: Wie aktuell ist dieser Begriff nach all der vergangenen Zeit und was lässt sich über ihn sagen?



Geschichtlicher Hintergrund


Im Jahre 1860 wurden am gleichen Tag zwei Schwestern in ein pariser Hospital eingewiesen. Sie schienen die gleichen psychotischen Wahnvorstellungen aufzuweisen. So ein Fall war neu für den dort arbeitenden Psychiater Jules Baillarger und aufgrund diesens formulierte er seine Theorie der "Folie communiquée" (Kommunizierter Wahnsinn). Sie besagt die Gegenübertragung einer von einer Person empfundenen Psychose auf eine zweite Person. Aufbauend auf diesen Observationen wurden in den nächsten Jahrzehnten weitere Fälle mit derselben Erkrankung berichtet und so nahm das Krankheitsbild der später durch Lasègue und Falret als "Folie à deux" (Wahnsinn zu zweit) bezeichneten "Folie communiquée" Form an.



Ist der Begriff noch zeitgemäß?


Obwohl der Begriff "Folie à Deux" ein Relikt einer vergangenen Zeit ist und heutzutage nicht mehr von Wahnsinn die Rede sein kann, lässt sich zum Beispiel im ICD-10 (Internationale Klassifikation von Krankheiten) ein Eintrag zur "induzierten wahnhaften Störung" finden, welche vergleichbar mit der Folie à deux ist.


Diese Störung bezieht sich auf Fälle, in denen eine Person, die einem primären Patienten nahe steht und von diesem beeinflusst wird, ähnliche wahnhaften Überzeugungen entwickelt. Der primäre Patient hat typischerweise eine wahnhafte Störung, während der induzierte Patient, die wahnhaften Überzeugungen des primären Patienten übernimmt.


Was sind wahnhafte Überzeugungen?


Wahnvorstellungen sind feste, unerschütterliche Überzeugungen, die trotz offensichtlicher Beweise oder logischer Argumente anhalten. Diese Überzeugungen sind in der Regel unrealistisch und nicht mit den kulturellen oder religiösen Überzeugungen der betreffenden Person vereinbar. Menschen mit wahnhaften Überzeugungen halten oft an ihnen fest, auch wenn sie mit Gegenargumenten konfrontiert werden, und können Schwierigkeiten haben, die Realität von ihren Überzeugungen zu trennen.


Wahnvorstellungen können verschiedene Formen annehmen, darunter Verfolgungswahn (das Gefühl, dass man überwacht oder verfolgt wird), Größenwahn (übertriebene Überzeugungen über die eigene Bedeutung oder Fähigkeiten) oder Eifersuchtswahn (das Gefühl, dass der Partner untreu ist, ohne Beweise dafür zu haben). Diese Überzeugungen können das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen und zu Konflikten mit anderen führen.


Es ist wichtig zu beachten, dass wahnhaftes Denken ein Symptom verschiedener psychischer Störungen sein kann, darunter Schizophrenie, bipolare Störung und schwere Depression.


Unterschiede zwischen dem früheren und heutigen Verständnis der Folie à deux


In früheren Diagnosen der Folie à deux wurde die sekundäre Partei als mental stabil beschrieben.

Nach unserem heutigen Verständnis lässt sich aber in vielen Fällen einer induzierten wahnhaften Störung schon zumindest eine Anfälligkeit für psychische Erkrankungen bei der sekundären Partei vorfinden.


Die Sorge, dass man also als eine komplett stabile Person auf einmal auch z.B. einer Psychose verfallen kann, wenn ein Familienmitglied oder ein Ehepartner darunter leidet ist also relativ unbegründet. Das Zusammenspiel von Umwelt und Veranlagung spielt hierbei, wie so oft, eine große Rolle.


Auch ist eine Trennung der primären und sekundären Partei nicht unbedingt notwendig wie früher angenommen wurde. Heutzutage ist klar, dass eine medikamentöse und therapeutische Behandlung ähnlich effektiv wirken kann, um die Erkrankung zu behandeln.


Eine weitere Vorannahme, die früher und auch eventuell noch heute über psychische Erkrankungen wie Schizophrenie oder psychotische Störungen getroffen wird ist die Gefahr für andere, die von ihnen ausgeht. In den meisten Fällen geht von Menschen mit diesem Störungsbild kein direktes Risiko aus. Insbesondere, wenn sie in therapeutischer Behandlung sind. Dementsprechend ist zum Beispiel die Darstellung von Arthur Fleck oder "Joker" sehr überspitzt und unrealistisch.

Oft spielt bei straftätigen Menschen mit Schizophrenie oder psychotischen Symptomen exzessiver Substanzmissbrauch eine große Rolle.



Was sich nun abschließend zur Folie à deux sagen lässt:


Obwohl die Folie à deux als Krankheitsbild nicht mehr in ihrer Urform zur Diagnose verwendet wird, hat sie doch einen großen Einfluss auf die klinische Psychologie des 19. und 20. Jahrhunderts gehabt und informiert weiterhin unser Verständnis darüber wie Anlage und Umwelt miteinander interagieren können und was unser direktes Umfeld für einen Einfluss auf uns haben kann. Werke wie der Film "Joker 2" sind aber aufgrund ihrer undifferenzierten Darstellungsweise mit Vorsicht zu genießen und als das zu betrachten was sie sind: fiktive Geschichten.




Quellen:

Levey, S., & Howells, K. (1995). Dangerousness, unpredictability and the fear of people with schizophrenia. Journal of Forensic Psychiatry, 6, 19-39. https://doi.org/10.1080/09585189508409874


Arnone, D., Patel, A. & Tan, G.MY. The nosological significance of Folie à Deux: a review of the literature. Ann Gen Psychiatry 5, 11 (2006). https://doi.org/10.1186/1744-859X-5-11


Cipriani G, Abdel-Gawad N, Danti S, Di Fiorino M. A Contagious Disorder: Folie à Deux and Dementia. American Journal of Alzheimer’s Disease & Other Dementias®. 2018;33(7):415-422. https://doi:10.1177/1533317518772060


World Health Organization(WHO). (1993). The ICD-10 classification of mental and behavioural disorders. World Health Organization.


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