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Wie Depressionen entstehen und welche Rolle Angehörige dabei spielen


Im Gegensatz zu einem gebrochenen Bein kann eine Depression meist nicht auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel aus verschiedenen Einflüssen, wie beispielsweise der Genetik, Umweltfaktoren und kognitiven Denkstilen, welche das Risiko erhöhen, an einer Depression zu erkranken. Zum einen kann eine genetische Veranlagung bestehen, welche zu einem erhöhten Risiko führt, eine Depression zu entwickeln. Andererseits wirken Faktoren aus unserer Umwelt auf das Risiko einer Erkrankung ein. So kann es beispielsweise traumatische Ereignisse im Leben geben, die eine Erkrankung zur Folge haben.


Wie viele andere Psychologen arbeitete Peter Lewinsohn daran, aus dem Dschungel an möglichen Ursachen eine Theorie abzuleiten, welche die Entstehung von Depressionen erklärt. Er entwickelte das Verstärker-Verlust-Modell, welche einen Verlust an positiven Verstärkern verantwortlich für die Entstehung von Depressionen macht. Was das genau bedeutet und welche Rolle Angehörige dabei spielen, erfährst du im Folgenden.


Lewinsohn beschreibt als Hauptursache, dass Betroffene ein zu geringes Maß an positiven Erlebnissen erfahren, welches schließlich zu Depressionen führt. Einfach gesagt: Zu wenig positive, erfreuliche Dinge passieren. Und genau das kann dazu führen, dass man eine Depression bekommt.

Doch wie kommt es überhaupt erst zu diesem Mangel an positiven Erlebnissen? Die Antwort gründet sich auf drei Aspekte:

  1. Die Anzahl und Intensität potentiell positiver Ereignisse. Welche Ereignisse könnten stattfinden, welche Freude bereiten? Beispielsweise ein gemeinsamer Ausflug mit Freunden, ein Spaziergang in der Sonne, ein gemeinsames Abendessen mit dem Partner. Es ist also die Frage nach dem „Was“ – Was gibt es da überhaupt für schöne, witzige, aufregende oder entspannende Erlebnisse, welche Freude bereiten können? Die Frage ist aber auch: Wie viele solcher Erlebnisse lassen sich finden und wie ist die Intensität dessen? Erlebt ein Betroffener beispielsweise zwar viele positive Ereignisse, welche aber nur sehr oberflächlich sind?

  2. Die Erreichbarkeit der positiven Erlebnisse. Welche Bedingungen wirken auf die Situation mit ein? Sitzt der Betroffene beispielsweise im Rollstuhl und ist an die Hilfe anderer Personen gebunden? Hat der Betroffene nur wenige soziale Kontakte, weil er vielleicht gerade in eine neue Stadt gezogen ist? Welche Aspekte behindern daran, ein positives Erlebnis zu erschaffen?

  3. Das instrumentelle Verhalten einer Person. Also wie sieht es mit den sozialen Fähigkeiten aus? Fällt es der Person beispielsweise schwer, neue Kontakte zu knüpfen und sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen?

Zusammengefasst beschreibt Lewinsohn diese drei Gründe, welche zu einem Mangel an positiven Erlebnissen führen. Und das wiederum resultiert dann in depressiven Symptomen.

Aber welche Rolle spielen nun die Angehörigen bei diesem Prozess?

Menschen, die im direkten Umfeld von einem Betroffenen leben sind oft die ersten, die bemerken, dass sich die Stimmung des Betroffenen verändert. Die Person zieht sich vielleicht immer mehr zurück oder berichtet von negativen, quälenden Gedanken und einer allgemeinen Bedrücktheit. In diesem Stadium geht es vielen Angehörigen so, dass sie nun alles in Bewegung setzen, um den anderen Menschen wieder glücklich zu machen. Man plant gemeinsame Aktionen, bemüht sich besonders, dem anderen Menschen nah zu sein und auf alle Sorgen einzugehen, versucht der Person Dinge abzunehmen, die unangenehm sind und stellt sich auf den Kopf in der Hoffnung, nur ein kleines Lächeln zu erhaschen.

Nun gibt es da allerdings folgenden Knackpunkt: Wer wirklich an einer knackigen Depression leidet, ist nicht unbedingt der einfachste Interaktionspartner. Viele Betroffene haben das große Bedürfnis sich zurückzuziehen, wollen nicht über ihre Probleme reden und fühlen sich eben bedrückt. Und mit diesen Gefühlen ist es als Angehöriger nicht immer einfach umzugehen. Da steht man da und freut sich über etwas und der Gegenüber: kann sich nicht mitfreuen. Man möchte etwas Tolles unternehmen und der Gegenüber: möchte lieber zuhause bleiben. Das kann auf Dauer anstrengend sein und so geht es vielen Angehörigen so, dass sie irgendwann feststellen, dass sie „einfach nicht mehr können“. Dann ziehen sie sich zunehmend zurück und versuchen sich so selbst zu schützen.

Aus Sicht der Betroffenen spielt sich das Ganze wiederum so ab, dass erst ganz viel Unterstützung und Hilfe erlebt wird und dann plötzlich fällt alles wieder weg. Und nicht nur, dass es einem selbst schwerfällt, sich aufzuraffen, kommt es auch noch dazu, dass sich die Angehörigen auch mehr und mehr zurückziehen. Das führt dann wiederum zu immer weniger positiven Erlebnissen und der Teufelskreis ist komplett.



Was aber kann man nun als Betroffener tun, um aus dieser Abwärtsspirale rauszukommen? Und wie sollte man als Angehöriger am besten reagieren?

Um dem negativem Kreislauf zu entfliehen ist es wichtig, positive Aktivitäten zu fördern. Betroffene können sich die Frage stellen: „Was hat mir früher Freude bereitet?“ oder „Gibt es etwas, was mir Spaß machen könnte?“. Damit solche Aktivitäten in Realität umgesetzt werden, kann es hilfreich sein, an den eigenen Sozialkompetenzen zu arbeiten. Da bieten Psychologen gute Anlaufstellen, um sich weiterzuentwickeln. Betroffene können sich aber auch einmal ganz ehrlich die Frage stellen: „Was fällt mir im Kontakt mit anderen Menschen schwer? Traue ich mich nicht, andere Menschen anzusprechen oder ist es mir unangenehm, mein Herz zu öffnen? Womit habe ich noch Schwierigkeiten?“ und dann: „Was kann ich tun, um das aus der Welt zu schaffen? Wie kann ich meine Schwierigkeiten ablegen? Was wäre ein erster Schritt?“. Aber nicht nur bei Problemen im sozialen Bereich kann man sich diese Frage stellen. Es kann helfen, ganz offen zu sich zu sein und sich zu fragen: „Was ist es, was mich davon abhält schöne Lebensmomente zu erschaffen? Und gibt es für das was mich abhält nicht eine Lösung?“. Dem negativen Kreislauf zu entfliehen ist nicht leicht, aber es ist möglich: Wenn man sich aufraffen kann, einen kleinen Schritt nach dem Nächsten zu gehen.



Und was kann man nun als Angehöriger tun? Wie sollte man am besten reagieren?

Wenn du jemanden in deinem Umfeld hast, der mit einer Depression kämpft, möchte ich dir als erstes sagen: Es tut mir leid, dass du dir Sorgen machst. Es tut mir leid, dass du jemanden, den du gerne hast, leiden sehen musst. Aber: Das bist nicht du. Da ist eine Grenze zwischen dem Betroffenen und dir. Du musst nicht mitleiden. Und du musst auch nicht alles tun, um die andere Person glücklich zu machen.

Sich bewusst zu machen, dass die Überschüttung an Unterstützung und Mitgefühl und anschließend dann dessen Entzug, zu der Abwärtsspirale der Betroffenen beiträgt, ist gut zu wissen. So kann man sich im Stadium der ersten Anzeichen daran erinnern, dass es nicht Notwendig und auf lange Sicht auch nicht gut ist, der betroffenen Person zu versuchen, alle Last abzunehmen. Statt den Betroffenen direkt mit Hilfe und Tipps zu überschütten, reicht auch im ersten Schritt erstmal: ein Angebot. Ein Angebot, da zu sein, offen zu sein für Gespräche und dabei zu helfen, professionelle Hilfe zu suchen. Und wenn der Betroffene schon länger mit einer Depression zu kämpfen hat und du vielleicht schon an dem Standpunkt bist, dass du nicht mehr kannst, will ich dir sagen: Es ist okay, dass du dir Zeit für dich nimmst. Es bringt niemandem was, wenn du dich aufopferst. Und andererseits: Mach dir bewusst, dass es zur Depression dazugehört, dass Depressive eben nicht besonders gesellig sind. Das ist Teil der Störung. Wenn man sich das wirklich bewusst macht, vielleicht ist es dann möglich, über das ein oder andere hinwegzusehen und sich daran zu erinnern, dass man nicht aufgeben sollte, es zu versuchen, der anderen Person beizustehen. Aber eben nur bis zu dem Punkt, an dem es einem selbst gut geht.



Quelle

Lewinsohn, P. M. (1974). A behavioral approach to depression. Essential papers on depression, 150-172.

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