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Stigmatisierung psychischer Krankheiten – Was du dagegen tun kannst


Foto von Diva Plavalaguna: https://www.pexels.com/de-de/foto/glucklich-lacheln-mannschaft-freundschaft-6146697/

Trotz fortschreitender Aufklärung über psychische Gesundheit und einem beobachtbaren Wandel der Gesellschaft, in Bezug auf die Wahrnehmung von psychischen Erkrankungen, bleibt dennoch ein Hindernis bestehen, das oft im Schatten des Unausgesprochenen liegt – die Stigmatisierung. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die Auswirkungen von Vorurteilen im Kontext psychischer Erkrankungen und was wir, als Einzelpersonen, die Gesellschaft, die Stigma Betroffenen und deren Angehörigen gegen die Herausforderungen der Stigmatisierung tun können. Um eine Umgebung der Akzeptanz und Unterstützung zu schaffen. Denn nur durch den Abbau von Vorurteilen können wir eine Kultur fördern, in der psychische Gesundheit ohne Stigma existiert.



 


Stigmatisierung aus Sicht der Betroffenen

In jeder Gesellschaft sind Stigma und Diskriminierung aufzufinden, da andersartig oder unterschiedlich zu sein oft auffällt – sei es aufgrund der Herkunft oder einer Erkrankung. Wenn diese Andersartigkeit negativ bewertet wird, spricht man von einem Stigmatisierungsprozess. Individuen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sind, erleben oft, wie sich Menschen wegen ihrer Erkrankung von ihnen distanzieren oder ihnen Chancen im Leben verwehrt werden. Menschen mit psychischen Erkrankungen werden vielfach aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt. Das mit psychischen Erkrankungen assoziierte Stigma stellt für die Betroffenen eine erhebliche zusätzliche Belastung dar. Stigmatisierung wird daher auch als "zweite Krankheit" betrachtet. Aufgrund der negativen Vorurteile, die mit psychischen Erkrankungen verbunden sind, zögern viele Betroffene, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen, um die Diagnose "psychisch krank" zu vermeiden. Daher kann Stigmatisierung nicht nur den Heilungsprozess behindern, sondern auch eine rechtzeitige Diagnose und Behandlung erschweren.


Psychisch erkrankte Menschen erleben Ausgrenzung und Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen – sei es in zwischenmenschlichen Beziehungen, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, durch politische Entscheidungen, private Versicherungsanbieter:innen oder allein durch eine diskriminierende Darstellung psychisch erkrankter Menschen in den Medien. Diese Ausgrenzung manifestiert sich nicht immer offensichtlich in offener Ablehnung und Benachteiligung, sondern kann auch verdeckt und schleichend geschehen. Die Stigmatisierung psychisch Erkrankter hat demnach sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Konsequenzen für die Betroffenen: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind beispielsweise einem erhöhten Risiko der Arbeitslosigkeit ausgesetzt. Sowohl sie als auch ihre Angehörigen tragen ein gesteigertes Armutsrisiko, und Obdachlosigkeit kann ebenfalls eine Folge der Stigmatisierung sein.


Betroffen von all dem sind nicht nur die Erkrankten selbst, sondern oft auch ihre Angehörigen. Diese erleben ebenfalls Ablehnung oder müssen die Ausgrenzung der ihnen nahestehenden Person miterleben. Die negativen Reaktionen auf die Krankheit belasten das soziale Netz der Betroffenen, darunter Lebenspartner sowie Freundes- und Bekanntenkreis.



Wie kann man Stigmatisierung als Gesellschaft bewältigen?


Informationen und Aufklärung

Gutes Wissen über psychische Erkrankungen, ihre Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten zu besitzen, kann Vorurteile abbauen und falschem oder fehlendem Wissen entgegenwirken. Es ist hilfreich zu verstehen, dass die Grenze zwischen "psychisch krank" und "psychisch gesund" fließend ist und nicht eindeutig voneinander trennbar (jeder hat schon einmal selbst psychische Symptome erlebt). Informationen können durch breite Medienkampagnen und öffentliche Aufklärungsprogramme an die Gesamtbevölkerung vermittelt werden. Gleichzeitig sind aber auch gezielte Maßnahmen wichtig, um bestimmte Gruppen anzusprechen, die beruflich häufig Kontakt mit psychisch Erkrankten haben oder die psychisch Kranke betreffende Entscheidungen treffen. Wie z.B. Pflegepersonal, Sozialarbeiter,:innen Polizisten und Polizistinnen, Entscheidungsträger:innen in Krankenkassen, Rentenversicherungsträger:innen, Unternehmen und Sozial- sowie Wohnungsämter. Seminare, Informationsveranstaltungen, Webseiten, Broschüren und einfühlsame Dokumentarfilme sind fachlich fundierte und unterhaltsame Möglichkeiten, um das Verständnis für psychische Erkrankungen zu fördern und die Bereitschaft zur Weiterbildung über psychische Erkrankungen zu erhöhen.


Persönlicher Kontakt zu Betroffenen

Der persönliche Kontakt zu psychisch kranken Menschen ermöglicht authentische Erfahrungen und wirkt nachhaltig gegen Vorurteile. Besonders effektiv ist dies, wenn Interaktionspartner:innen gemeinsame Übereinstimmungen, wie einen ähnlichen beruflichen Hintergrund, teilen und ein enger persönlicher Kontakt möglich ist. Aktionsbündnisse und psychotherapeutische Einrichtungen organisieren Veranstaltungen wie Café-Treffs, Feste oder Tage der offenen Tür, um solche Begegnungen zu fördern. Auf diese Weise lassen sich Vorurteile und falsche Vorstellungen am nachhaltigsten verändern. Informationsveranstaltungen, bei denen Betroffene selbst teilnehmen, tragen ebenfalls zu persönlichen Kontakten bei. Eine weitere bedeutende Maßnahme sind Interessenvertretungen für Betroffene. Indem Einzelpersonen oder Gruppen sich für psychisch Kranke einsetzen und Partei ergreifen, tragen sie zur Verringerung von Stigmatisierung und Diskriminierung bei, während gleichzeitig eigene Vorurteile abgebaut werden.


Anti-Stigma Kampagnen

Um die Stigmatisierung effektiv zu bekämpfen, ist eine Verknüpfung von lokalen, nationalen und internationalen Ansätzen entscheidend. Das "Aktionsbündnis Seelische Gesundheit" betont bereits vorhandenes Engagement auf lokaler Ebene in Deutschland. Lokale Initiativen können durch übergeordnete nationale oder internationale Programme unterstützt werden, um ihre Wirksamkeit zu steigern. Damit Anti-Stigma-Maßnahmen effektiv sind, sollten sie klare Ziele haben, spezifische Zielgruppen ansprechen und langfristig durchgeführt werden. Die Beteiligung der Betroffenen an der Planung und Umsetzung der Maßnahmen ist dabei besonders förderlich.


Veränderung gesellschaftlicher -Strukturen

Eine Veränderung der bestehenden Strukturen oder die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für psychisch Kranke kann dazu beitragen, die Stigmatisierung zu reduzieren. Fachleute empfehlen, die Unterbringung von Betroffenen weniger in speziell für sie vorgesehenen Arbeits-, Wohn- und Freizeiteinrichtungen. Stattdessen sollten sie z.B. inklusiv mit psychisch Gesunden wohnen, an Freizeitaktivitäten teilnehmen und auf dem regulären Arbeitsmarkt arbeiten. Dies fördert persönlichen Kontakt und ermöglicht vielen psychisch Kranken, wieder am Arbeitsleben teilzunehmen, Verantwortung zu übernehmen, sich als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft zu fühlen und zugleich würde so mehr persönlicher Kontakt zwischen Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihren Mitmenschen möglich. Solche Maßnahmen wirken dem gesellschaftlichen Ausschluss von psychisch Kranken entgegen und tragen dazu bei, Stigmatisierung und Diskriminierung zu verringern. Experten plädieren deshalb, Programme zur Unterstützung psychisch Kranker bei der schnellen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu fördern und auszubauen.



Wie kann man die Stigmatisierung als Erkrankte Person bewältigen?


Empowerment Ansatz

Empowerment ist ein zentraler Ansatz zur Überwindung von Stigmatisierung. Dabei liegt der Fokus nicht auf den Defiziten der Betroffenen, sondern auf deren Fähigkeiten, Ressourcen und Interessen. Ziel ist es, diese zu fördern und die Betroffenen dazu zu befähigen, für ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Interessen einzustehen, um wieder mehr Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit zu erlangen.

Zusätzlich werden ihnen Bewältigungsfähigkeiten vermittelt, um besser mit den Beeinträchtigungen ihrer Erkrankung umzugehen. Dies beinhaltet die Auseinandersetzung mit ihrer psychischen Erkrankung, deren Akzeptanz und aktive Bewältigung. Um so die mit der Erkrankung verbundenen Minderwertigkeitsgefühle und Selbststigmatisierung zu überwinden. Im Rahmen des Empowerments erlernen psychisch kranke Menschen auch den Umgang mit stigmatisierendem Verhalten. Sie lernen, sich gegen Vorurteile, Diskriminierung und die negativen Auswirkungen von Stigmatisierung zu wehren, beispielsweise durch offene Ansprache von ungerechter Behandlung.



Jeder kann etwas für die Endstigmatisierung tun

Die nachfolgende Zusammenstellung bietet verschiedene Vorschläge für Handlungsweisen, die dazu anleiten sollen, wie einzelne Personen in unterschiedlichen Situationen dazu beitragen können, die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu überwinden.


  • Alle Menschen können sich engagieren, psychisch Erkrankten respektvoll, vorurteilsfrei und unterstützend zu begegnen. Es ist ebenso wichtig, die Betroffenen dabei zu unterstützen, rechtzeitig psychologische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig sollten wir darauf achten, uns selbst rechtzeitig psychologische Unterstützung zu suchen, wenn wir mit psychischen Problemen konfrontiert sind.

  • Angehörige und Freunde von Menschen mit psychischen Erkrankungen können aktiv an Maßnahmen gegen Stigmatisierung teilnehmen. Durch ihre persönlichen Erfahrungen können sie wertvolle Einblicke in den Umgang mit der psychischen Erkrankung und Möglichkeiten zu deren Bewältigung geben.

  • Eltern können sicherstellen, dass ihre Kinder bei einer psychischen Störung rechtzeitig professionelle Unterstützung erhalten. Zusätzlich ist es wichtig, dass sie sich umfassend über die Erkrankung informieren, um ihre Kinder bestmöglich unterstützen zu können.

  • Arbeitskollegen und Kolleginnen, Studierende, Auszubildende und Schüler:innen haben oft enge Beziehungen zueinander. Es ist wichtig, darauf zu achten, ob ein:e Teammitglied, mitstudierende Person oder Mitschüler:in Schwierigkeiten zeigt oder sich plötzlich "anders" verhält als üblich. In solchen Fällen können sie Unterstützung anbieten und Hilfe bereitstellen.

  • Lehrer:innen haben die Möglichkeit, bereits in der Schule Informationen über psychische Erkrankungen zu vermitteln, um Vorurteile von vornherein zu verhindern. Darüber hinaus können sie beeinflussen, wie Schüler:innen mit ihren Mitschülern umgehen, insbesondere mit jenen, die als "schwächer" betrachtet werden. Es ist auch wichtig, dass Lehrer:innen darauf achten, ob bei einem Schulkind Anzeichen für psychische Veränderungen auftreten und diesem frühzeitig Unterstützung anbieten.

  • Ärztliches Personal kann aktiv das Gespräch mit ihren Patienten und Patientinnen suchen, wenn sie den Verdacht auf eine psychische Erkrankung haben, und sicherstellen, dass die Betroffenen die passende Behandlung erhalten. Zudem können sie in ihren Praxen Informationsmaterial über psychische Erkrankungen auslegen, um zu einer umfassenden Aufklärung beizutragen.

  • Politiker:innen können gesetzliche Verbesserungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen einleiten und dabei selbst als Vorbild agieren.

  • Mitarbeiter:innen in Behörden und Ämtern, wie Krankenkassen oder der Agentur für Arbeit, können durch gezielte Schulungen ihre Kompetenzen im Umgang mit psychisch Erkrankten stärken. Hierbei ist es wichtig, Vorurteile abzubauen und eine respektvolle Herangehensweise zu erlernen.

  • Medienschaffende, Filmregisseure und Regisseurinnen haben die Möglichkeit, bewusst auf negative, übertriebene oder falsche Darstellungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verzichten. Stattdessen können sie ausgewogen, differenziert und einfühlsam über diese Personen berichten. Eine authentische Berichterstattung könnte beispielsweise Interviews mit Betroffenen beinhalten, in denen sie offen über ihre Erfahrungen sprechen und dabei zeigen, wie sie mit ihrer Erkrankung umgehen oder diese bewältigen.



Was es bringt den Umgang mit Stigmatisierung zu lernen

Es ist ebenso wichtig, psychisch Erkrankten bei der Bewältigung von Stigmatisierung und deren Folgen zu helfen, wie den Abbau von Stigmatisierung in der Gesellschaft voranzutreiben. Dabei ist es förderlich, wenn die Betroffenen gut informiert sind über ihre eigene Erkrankung und die verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten. Ebenso wie ihre Angehörigen. Eine offene Auseinandersetzung mit der Erkrankung statt Verdrängung kann dazu beitragen, sich wirkungsvoller gegen falsche Behauptungen, Vorurteile und Diskriminierung zu verteidigen sowie einer Selbststigmatisierung entgegenzuwirken.


Betroffene, die gelernt haben, mit ihrer eigenen Erkrankung umzugehen und effektiv mit Stigmatisierung umzugehen und deren Angehörige, können als Vorbilder für andere Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörigen fungieren. Durch ihr Verhalten tragen sie dazu bei, die Stigmatisierung abzubauen und die Akzeptanz von psychisch Kranken in der Gesellschaft zu fördern.




Quellen

Aktionsbündnis Seelische Gesundheit (o. D.) Stigmatisierung. seelischegesundheit. https://www.seelischegesundheit.net/wissen/stigma/#

o. A. (2014, 12. März). Stigmatisierung psychisch Kranker nimmt zu. aerzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/57914/Stigmatisierung-psychisch-Kranker-nimmt-zu

Gaebel, W., Ahrens, W. & Schlamann, P. (2010). Konzeption und Umsetzung von Interventionen zur Entstigmatisierung seelischer Erkrankungen: Empfehlungen und Ergebnisse aus Forschung und Praxis. Im Rahmen des Antistigma-Projekts Entwicklung und Umsetzung einer Strategie zur Bekämpfung von Stigmatisierung und Diskriminierung psychisch erkrankter Menschen. seelischegesundheit. https://www.seelischegesundheit.net/themen/psychische-erkrankungen/publikationen/konzeption-zur-entstigmatisierung-seelischer-erkrankungen

Kurt, H. (2011). Wie Stigma entsteht und wieder aufgelöst werden kann. https://www.berner-buendnis-depression.ch/wp-content/uploads/2020/05/stigma_kurt.pdf

Peter, O. & Jungbauer, J. (2018). Diagnosis Talk and Recovery in People with a Mental Illness: A Qualitative Study and Perspectives for Clinical Social Work. Clinical Social Work Journal, 47, 222/232. doi.org/10.1007/s10615-018-0646-9







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