Vorwort: Dieser Artikel dient nicht zur Diagnose. Diese sollte ausschließlich durch eine ausgebildete Fachkraft erfolgen. Alle Vorschläge, die gemacht werden sind als Anstöße zu betrachten, da bei den individuellen Situationen eventuell andere Maßnahmen hilfreicher sind.
Videospiele haben sich in den letzten Jahrzehnten als ein vielseitiges Medium entpuppt, mit dem man neue Welten erkunden und sich spielerisch austoben kann. Online-Spiele wie Fortnite dominieren die Pop-Kultur und die Videospielbranche hat die Filmbranche im Thema Einnahmen lange überholt. Somit ist mit der Spielerzahl auch die Anzahl an Suchterkrankten im Jahr 2023 auf circa 60 Millionen gewachsen. Diese starke Prävalenz hat unter anderem dafür gesorgt, dass Videospielsucht 2022 im ICD-11 einen eigenen Eintrag bekommen hat.
Heutzutage ist es dementsprechend vollkommen angebracht und vorteilhaft sich damit zu befassen wie man als Angehörige*r Heranwachsenden einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Thema beibringen kann, um eine Sucht vorzubeugen, oder richtig mit ihr umzugehen
Was könnten Indizien für einen Sucht sein?
Drei Kriterien müssen laut der 11. Revision der internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-11) für mindestens ein Jahr vorliegen, um von einer Spielstörung sprechen zu können:
Entgleitende Kontrolle etwa bei Häufigkeit und Dauer des Spielens
wachsende Priorität des Spielens vor anderen Aktivitäten
Weitermachen auch bei negativen Konsequenzen
Zum Beispiel kann es sein, dass die betroffene Person teilweise 15 Stunden am Stück damit verbringt Videospiele zu spielen und somit die eigene Gesundheit, Verpflichtungen des Alltags und sogar andere Hobbys vernachlässigt.
Welche Einflussfaktoren gibt es?
Die virtuelle Welt der Videospiele kann als letzter Zufluchtsort gesehen werden. Sie bietet durch konstante neue Entdeckungen, Erfolgserlebnisse und eine interne Stabilität eine sehr attraktive Alternative zu den Problemen des Alltags. Videospiele bieten eine Welt mit festen, fairen Regeln zu der man immer zurückkommen kann.
Schwierige Familienverhältnisse, ein fehlendes soziales Netz und eine genetische Anfälligkeit für Sucht scheinen oft einen großen Einfluss auf den übermäßigen Konsum von Computerspielen zu haben.
Es kann zum Beispiel sein, dass zu Hause viel gestritten wird. Auch kann es sein, dass keine gute und gewaltfreie Kommunikation mit der betroffenen Person stattfindet und sie sich somit nicht wohl fühlt bei Problemen nach Hilfe und Rat zu fragen. Wenn dazu noch außerhalb des Familienkontexts kein soziales Netz in der Form von Freunden und Klassenkameraden vorhanden ist, kann es passieren, dass sich eine Sucht entwickelt.
Abwesende, oder zu großzügigen Eltern mit laissez faire Einstellung sorgen eventuell dafür, dass dem Kind kein verantwortungsvoller Umgang mit dem Medium beigebracht wird durch fehlende Anleitung und Grenzen.
Kinder spiegeln darüber hinaus das Verhalten ihrer Eltern. Wenn es in der näheren Familie Suchtprobleme gibt und diese vom Kind beobachtet werden, kann dies zu ähnlichen Verhaltensweisen führen. Damit einhergehend kann eine Historie von Suchterkrankungen auch genetische Einflüsse auf die betroffene Person haben.
Welche Folgen hat exzessiver Videospielkonsum?
Es kann passieren, dass Beziehungen im echten Leben drastisch vernachlässigt werden. Besonders bei Mehrspieler-Spielen findet man im Internet schnell Anschluss zu vielen verschiedenen Menschen mit dem gleichen Interesse und somit werden „real-life“ Beziehungen als weniger notwendig betrachtet. Das kann dazu führen, dass im echten Leben das Gefühl von Einsamkeit leichter aufkommt und man generell eine geringere Zufriedenheit empfindet, wenn der Bildschirm aus ist. Damit einhergehend werden, wie schon genannt, oft die Verpflichtungen des Alltags vermieden. Oft lässt die akademische Leistung von Kindern mit höherem Spielekonsum nach, was auch zu einem erhöhtem Stresslevel führen kann.
Dies ergibt auch Sinn, wenn man die neuronalen Effekte von übermäßigem Videospielgebrauch betrachtet. Bei Erfolgserlebnissen im Computerspiel wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Je länger man spielt, desto permanenter werden die Veränderungen im Belohnungssystems des Gehirns. Natürliche Belohnungen werden als weniger stark empfunden, was zu einer geringeren Kontrolle des Suchtverhaltens führen kann. Es kann eine Toleranz entstehen, die dazu führt, dass mehr gespielt werden muss, um die gleiche Ausschüttung von Glückshormonen zu erreichen.
Auch können Entzugserscheinungen in Form von Schlafproblemen, höherer Reizbarkeit, geringerer emotionaler Regulation, Kopfschmerzen, etc. auftreten.
In kleineren Stichproben wurde das
exzessive Spielen mit einem Belohnungsdefizit assoziiert, was wiederum zu weniger Dopaminfluss im Gehirn führen kann. Dies kann im Zweifelsfall erklären, warum Spielsucht oft gepaart mit Depressionen, ADHS und anderen dopaminbedingten psychischen Erkrankungen auftritt. Dabei ist aber zu beachten, dass noch nicht klar ist in welche Richtung der Zusammenhang besteht. Es kann also sein, dass man als Mensch mit ADHS, oder Depressionen eher dazu anfällig ist süchtig zu werden, oder, dass die Sucht die Entstehung dieser Krankheiten beeinflusst.
Trotz dessen gibt es beim Videospielkonsum auch einige positive Effekte. Diese wären zum Beispiel verfeinerte Hand-Augen-Koordination und eine umfassendere Aufnahme wahrnehmungsbasierter Informationen.
Was kann man als Angehörige*r tun?
Zuerst einmal ist es wichtig, dass wenn Verdacht auf eine Videospielsucht besteht, die Hilfe einer psychologischen Fachkraft aufgesucht wird. Insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie scheint sehr vielversprechend bei Suchterkrankungen zu wirken. Da eine Sucht des Kindes ein Indiz für familiäre Probleme sein kann, ist es auch empfehlenswert eine Familientherapie in Betracht zu ziehen. Diese hat sich bei anderen Suchtformen als das effektivste Interventionsmittel herausgestellt.
Der eventuelle genetische Einfluss sorgt dafür, dass Psychopharmaka, wie zum Beispiel Bupropion, unter Umständen auch hilfreich sein können. Dies muss in Absprache mit einem Psychiater in Erwägung gezogen werden.
Weitere Interventionen, die sich als effektiv herausgestellt haben, sind unter anderem das tägliche Verfassen von Tagebucheiträgen, in denen über den Konsum und dessen Häufigkeit reflektiert wird. In Japan hat 2017 der Besuch eines 9-tägigen Selbstfindung-Camps (SDiC) auch gute Resultate für die Betroffenen ergeben. Die praktische Umsetzung dieses Ansatzes ist etwas schwieriger, aber eventuell ist es ratsam nach ähnlichen Angeboten im Umkreis zu suchen, oder mit einem Psychologen über einen Aufenthalt in einer Suchtklinik zu sprechen (je nach Gravur natürlich).
Außerhalb vom klinischen Kontext gibt es aber noch weitere Weisen wie man eine solche Sucht vorbeugen, oder bekämpfen kann. Die Ermutigung zu anderen, sportlichen Hobbys kann dabei helfen Erfolgserlebnisse auf eine etwas nachhaltigere Weise zu erlangen. Auch kann man feste Zeiten absprechen, zu denen die betroffene Person Videospiele spielen darf, um einen gewissen Rahmen zu setzen, oder Videospiele als Belohnung für die Erledigung wichtiger Aufgaben verwenden.
Fazit
Im Alltag wird die Sucht schnell übersehen. Besonders im Vergleich zu Substanzmissbrauch, der auf offensichtlichere Weise das Leben der Betroffenen beeinflusst, wirkt diese Abhängigkeit milder. Sie ist, wie oben geschildert, erst seit neuestem als eigene Sucht anerkannt. Trotz dessen ist Ernsthaftigkeit geboten, da sie das Leben des Betroffenen negativ beeinflussen kann.
Muss man nun seinen Liebsten komplett davon abraten Videospiele zu spielen? Nein. Videospiele bieten eine Vielfalt an Möglichkeiten sich selber auszuprobieren und in andere Welten einzutauchen. Ähnlich wie das Medium des Films wurden seit ihrer Erfindung eine Vielzahl an sehr packenden und mitreißenden Geschichten kreiert, in denen der Spieler eine aktive Rolle übernehmen und somit oft den Verlauf der Handlung beeinflussen kann. Da sie ein neues Phänomen sind, ist nur Vorsicht im Umgang geboten.
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Quellen
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