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Im Gespräch bleiben – wie Gaming keine Belastung wird

  • Sascha
  • vor 3 Tagen
  • 6 Min. Lesezeit
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Videospiele sind ein Zeitvertreib und ein Hobby wie jedes andere. Doch während das Umfeld beim Fußballspiel und Lesen zustimmend nickt, kommt beim Gaming gelegentlich die Frage auf: Warum zockst du? In vielen Altersspannen sind Videospiele als Beschäftigung präsent und sowohl bei Eltern als auch Freund*innen oder in der Partnerschaft ist nicht immer klar, wieso gespielt wird. Dabei ist es wichtig, sich mit den Gründen fürs Videospielen auseinanderzusetzen und darüber im Gespräch zu bleiben. Damit “ich geh’ heut Abend zum Fußball” zu einer genauso normalen Aussage wird wie “ich bin heute Abend mit Freunden zum Zocken verabredet”.


Die vielfältigen Gründe, zum Spiel zu greifen

In den vielfältigen Disziplinen der Psychologie geht man davon aus, dass Verhalten sich auf Bedürfnisse und Gefühle zurückführen lässt – bewusst oder unbewusst. Das, was der Mensch tut, hat einen Nutzen für ihn, weil er es ja sonst nicht tun würde. Auch Medienkonsum erfüllt einen Nutzen für uns Menschen und die Medienpsychologie beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wieso wir welche Medien und wofür wir sie wählen. Um gewalttätiger zu werden jedenfalls nicht.

Ein klassischer Ansatz der Medienwahl ist der ‘Uses-and-Gratifications-Ansatz’, also dass hinter der Medienwahl sowohl Nutzen als auch Bedürfnisbefriedigung stecken. Die in diesem Kontext von McQuail zusammengefassten Motive der Mediennutzung können uns auch in eigener Reflexion manchmal dazu dienen, eigenen Medienkonsum zu betrachten. Folgende vier große Themen führte er 1994 an:


  • Information (über relevante Ereignisse informiert bleiben, Rat oder Tipps suchen, die eigene Neugier befriedigen, Lernen oder ein Gefühl von Sicherheit durch Wissen schaffen)

  • Persönliche Identität (eine Verstärkung persönlicher Werte erfahren, eigene Verhaltensvorbilder finden, mehr über das eigene Selbst erfahren)

  • Integration und soziale Interaktion (Soziale Empathie, sich mit anderen Identifizieren, eine Basis für Konversationen schaffen, soziale Rollen ausleben)

  • Unterhaltung (Flucht und Ablenkung, Entspannung, intrinsische Freude, Zeit totschlagen, emotionale Entlasung)


Eine weitere Theorie zur Mediennutzung ist auch die Mood-Management-Theorie, die davon ausgeht, dass die Medienwahl von Stimmungen und Emotionen bestimmt wird. Die (unter)bewusste Medienwahl nimmt Einfluss auf unsere Stimmung und der Mensch ist daran interessiert, ein “stimulierendes Gleichgewicht herzustellen”, also das richtige Maß aus vielen positiven Gefühlen und wenig unangenehmen Gefühlen. Dabei ist es nicht so einfach, dass wir beispielsweise ein lustiges Spiel spielen, darüber lachen und fertig. Stattdessen gibt es innerhalb der Theorie vier konkrete Ideen, von denen hier zwei besonders relevant für Videospielnutzung sind:


  • Das Absorptionspotenzial beschreibt die Ablenkung des Menschen bzw. die Eigenschaft der Videospiele, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken.

  • Das Erregungspotenzial beschreibt, dass Menschen abhängig von ihrer aktuellen Erregung und Stimulierung ein davon gegensätzliches Produkt auswählen. Ziel ist ein mittleres Erregungsniveau. Nach einem sehr stressigen Arbeitstag als Feuerwehrmann muss es vielleicht nicht noch mehr Stress sein durch einen Banküberfall in Grand Theft Auto.


Weiterführend sind die Gründe so komplex wie der Mensch selbst. Auch das Thema “Eskapismus” spielt eine Rolle – also die Flucht vor den problematischen, unangenehmen und langweiligen Anteilen der Realität. Während diese Motivation in den Studien eher mit niedrigerem psychischen Wohlbefinden und negativen Auswirkungen auf das restliche Leben in Verbindung gebracht wird, zeigen die Spielgründe “soziale Interaktion” und “Identifikation” gegenteilige Effekte. Gemeinsam fremde Welten erleben, zusammen an Problemen arbeiten und im Spiel Fähigkeiten und Eigenschaften ausleben, mit denen man sich gut identifiziert. All das sind Gründe, wieso Videospiele sich gut anfühlen und eben auch konsumiert werden – und das manchmal eben lieber als Zeit auf dem Fußballplatz.

 

Wenn das Gaming doch zu viel wird

Seit 2022 existiert die Diagnose der Computerspielstörung offiziell im ICD-11, dem internationalen Klassifikationskatalog für Krankheiten. Die amerikanische Psychiatrie Vereinigung (APA) stellt folgende Kriterien zur Verfügung, um eventuell problematisches Spielverhalten zu evaluieren:


  • Verbringen Sie viel Zeit damit, über Spiele nachzudenken, auch wenn Sie gerade nicht spielen oder planen Sie, wann Sie das nächste Mal spielen können?

  • Fühlen Sie sich unruhig, reizbar, launisch, wütend, ängstlich oder traurig, wenn Sie versuchen, das Spielen einzuschränken oder aufzuhören?

  • Haben Sie das Bedürfnis, immer länger zu spielen, aufregendere Spiele zu spielen oder leistungsstärkere Geräte zu benutzen, um den gleichen Spielspaß wie früher zu haben?

  • Haben Sie das Gefühl, dass Sie weniger spielen sollten, sind aber nicht in der Lage, die Zeit, die Sie mit Spielen verbringen, zu reduzieren?

  • Andere Aktivitäten aufgeben. Verlieren Sie aufgrund des Spielens das Interesse an anderen Freizeitaktivitäten oder reduzieren Sie Ihre Teilnahme an diesen?

  • Spielen Sie weiter, obwohl Sie sich der negativen Konsequenzen bewusst sind, wie z. B. zu wenig Schlaf zu bekommen, zu spät zur Schule/Arbeit zu kommen, zu viel Geld auszugeben, Streit mit anderen zu haben oder wichtige Pflichten zu vernachlässigen?

  • Belügen Sie Ihre Familie, Freunde oder andere darüber, wie viel Sie spielen, oder versuchen Sie zu verhindern, dass Ihre Familie oder Freunde erfahren, wie viel Sie spielen?

  • Spielen Sie, um persönlichen Problemen zu entkommen oder sie zu vergessen oder um unangenehme Gefühle wie Schuldgefühle, Ängste, Hilflosigkeit oder Depressionen zu lindern?

  • Riskieren oder verlieren Sie wichtige Beziehungen oder Chancen in Beruf, Ausbildung oder Karriere wegen des Spielens?


  • Das Muster dieses Spielverhaltens zeigt sich über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten

  • Das gestörte Spielverhalten lässt sich nicht durch eine andere psychische Störung oder durch Substanz- oder Medikamentenkonsum erklären


Es sei zu erwähnen, dass die Diagnose “Computerspielstörung” selbst in starker Kritik steht. So ist sie von der American Psychiatric Association nicht anerkannt und auch Forscher*innen stellen die relevante Frage, wieso im ICD-11 nur die Computerspielstörung zu finden ist und keine Sexsucht, Sportsucht, Arbeitssucht oder Fernsehstörungen.

 

Solltest du beim Lesen feststellen, dass du dich oder einen dir nahestehenden Menschen bei der Beschreibung der Videospielsucht und ihrer negativen Auswirkungen wiederfindest, dann zögere bitte nicht, professionelle Hilfe zu suchen. Für konkrete Ärzt*innen und Therapeut*innensuche steht die 116117 zur Verfügung und bei akuteren Themen ist die Telefonseelsorge rund um die Uhr erreichbar unter 0800 / 111 0 111.


Wie man im Gespräch bleibt

Ganz gleich, ob es sich nun um eigene Betroffenheit handelt oder um den Freundes- und Bekanntenkreis, darüber zu reden macht es leichter. Auch, wenn gar kein problematisches Spielverhalten vorliegt. Eine hilfreiche Grundhaltung ist hierbei: Videospiele sind eine Beschäftigung oder ein Hobby, das Spaß macht. Darüber kann man also reden und in Kontakt bleiben, wie bei jedem anderen Hobby auch.

“Was macht dir an dem Spiel denn Spaß?” ist eine einfache Frage, die gerade auch Eltern empfohlen werden kann, wenn das eigene Kind spielt. Oder man stellt sich die Frage selbst.

Geht es dir mehr um die Action im Spiel? Oder um den sozialen Aspekt, um das Meistern von Herausforderungen, das Erwerben von Errungenschaften, um das Eintauchen in fremde Welten oder um das Ausleben von Kreativität? Diese sechs Gamer-Motivationen wurden von Wissenschaftler*innen auf Grundlage einer großen Datenmenge zusammengefasst. Vielleicht findet man sich hier in Bezug auf das eigene Lieblingsspiel in ein oder zwei Gruppen wieder.

Dann wird es auch möglich, diese Motivation als Bedürfnis über das Spiel hinaus zu betrachten. Wenn es dir um die Errungenschaften geht, vielleicht kannst du eine deiner Fähigkeiten in einem Wettbewerb anwenden? Oder wird deine Lust auf Action vielleicht auch befriedigt durch eine Achterbahnfahrt oder durch Lasertag?

Denn jedes Bedürfnis des Menschen kann auf unterschiedliche Arten erfüllt werden und vielleicht wird das Leben ein wenig bunter, wenn man hier eine größere Vielfalt auslebt.


Fazit

Wie jedes Hobby und auch jeder Medienkonsum hat Gaming seine Gründe. Wenn man die eigenen Gründe zum Spielen reflektiert, wird man auch auf eigene Bedürfnisse oder Interessen aufmerksam. Das kann den Spielspaß vielleicht noch etwas bewusster gestalten, vielleicht aber auch auf Interessen außerhalb von Videospielen hinweisen.

Denn wie bei allem im Leben geht es um das richtige Maß und bei übermäßigem Spielen, das andere Tätigkeiten vernachlässigt und negative Effekte mit sich bringt, sollte man auch aufpassen. Aber bis es so weit ist: Lasst uns darüber reden, wieso unser Lieblingsspiel so toll ist und was uns daran so begeistert. Frag’ deine Freund*innen, die zocken, einfach mal nach ihrem Lieblingsspiel. Schau zu oder spielt direkt zusammen. Freundschaften leben von gemeinsamen Erfahrungen - und auch gemeinsames Gaming kann so eine Erfahrung sein und die Freundschaft bereichern.


Quellen

Batinic, B. (2008). Medienwahl. In B. Batinic & M. Appel (Hrsg.), Medienpsychologie (S. 107–125). Springer.


Cheah, I., Shimul, A. S., & Phau, I. (2022). Motivations of playing digital games: A review and research agenda. Psychology & Marketing, 39(5), 937–950. https://doi.org/10.1002/mar.21631


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Reinecke, L., & Klein, S. A. (2015). Game Studies und Medienpsychologie. In K. Sachs-Hombach & J.-N. Thon (Hrsg.), Game Studies: Aktuelle Ansätze der Computerspielforschung (S. 210–251). Herbert von Halem Verlag.


Van Rooij, A. J., Ferguson, C. J., Colder Carras, M., Kardefelt-Winther, D., Shi, J., Aarseth, E., Bean, A. M., Bergmark, K. H., Brus, A., Coulson, M., Deleuze, J., Dullur, P., Dunkels, E., Edman, J., Elson, M., Etchells, P. J., Fiskaali, A., Granic, I., Jansz, J., … Przybylski, A. K. (2018). A weak scientific basis for gaming disorder: Let us err on the side of caution. Journal of Behavioral Addictions, 7(1), 1–9. https://doi.org/10.1556/2006.7.2018.19


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Foto © Alena Darmel: https://www.pexels.com/de-de/foto/person-madchen-spielen-computer-7862609/


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