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Irrglauben über sexuelle Gewalt



In diesem Text wird vor allem sexuelle Gewalt gegenüber Frauen gesprochen, da diese Übergriffe mit über 81% den Großteil sexueller Gewalt ausmachen. Dass es ebenfalls sexuelle Gewalt gegenüber Männern gibt, ist uns bewusst und soll mit diesem Artikel nicht herunterspielt werden.



Was ist sexuelle Gewalt?

Insgesamt werden unter sexueller Gewalt Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, Zwangsheirat, Verweigerung von Verhütungsmitteln, Zwangsabtreibungen, aber auch Nötigung und ausgesetztem Exhibitionismus verstanden.

Weltweit erfahren 35,6% aller Frauen im Laufe ihres Lebens sexuelle Gewalt, wobei eine hohe Dunkelziffer nicht ausgeschlossen werden kann. Bei Männern ist diese Dunkelziffer aus Scham noch größer, wodurch keine genaue Aussage zur tatsächlichen Häufigkeit getroffen werden kann. Täter:innen nutzen oft Verletzlichkeit aus, wodurch sexuelle Gewalt vor allem im Bekanntenkreis auftritt und bestimmte Personengruppen besonders betroffen sind. Dazu zählen zum Beispiel Kinder, Personen mit geistigen Behinderungen und Geflüchtete.

Insgesamt sind Frauen weit häufiger betroffen. Dieser Unterschied ist umso größer je niedriger der Human Development Index - ein Wohlstandsindikator - in dem betroffenen Land ist.


Die Folgen sexueller Gewalt sind immens. Vergewaltigungen und häusliche Gewalt stellen statistisch ein größeres Risiko für Behinderungen und Tod dar als andere einschneidende Lebensereignisse, wie beispielsweise Kriege, Krebs und Verkehrsunfälle. Angst bleibt häufig ein ständiger Teil des Lebens, wodurch es zu einer geringeren Lebensqualität und höheren Freiheitseinschränkung kommt. Zahlreiche weitere Probleme, wie Belastungsstörungen, Depressionen oder Schlafstörungen können ebenfalls auf sexuelle Gewalt folgen.



Irrglauben über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt

Viele verbreitete Vorstellungen über sexuelle Gewalt entsprechen nicht der Realität. Dabei kann zwischen verschiedenen Mythen unterschieden werden:

An erster Stelle kann hier eine (Mit-)Beschuldigung des Opfers genannt werden. So wird oftmals berichtet, dass Opfer sexueller Gewalt durch Verhalten oder Kleidungsstil diese Gewalt provoziert hätten. Dabei spielen Studien zufolge nur Täter eine Rolle, weder Verhalten noch Kleidungsstil bieten eine Erklärung.

Ein weiterer Irrglaube ist, dass Vergewaltigungsvorwürfe oft falsch seien. Zwar gibt es einige Fälle, auf die dies zutrifft, insgesamt machen Falschanschuldigungen je nach befragter Justizeinrichtung aber maximal 8% der gesamten Anschuldigungen aus. Falschaussagen kommen im Schnitt nur in 2-6% der Fälle vor. Folglich handelt es sich in den meisten Fällen um tatsächlich erfolgte sexuelle Gewalt bzw. Vergewaltigung.

Eine weitere Auffälligkeit ist die Entlastung von Straftätern. So werden oft Drogenkonsum - vor allem in Form von Alkohol - oder ein hoher Sexualtrieb als herunterspielende Erklärung für die sexuelle Gewalt herangezogen.

Der letzte Mythos besteht darin, dass nur bestimmte “Frauentypen” vergewaltigt würden. Stereotypisch würden vor allem Frauen sexuelle Gewalt erfahren, die viel sexuellen Kontakt mit anderen Person suchen würden, sich anzügig kleiden würden oder eine gewisse Attraktivität aufweisen. Auch dies ist widerlegt: Es kann Frauen jeder Altersgruppe, jeder sozialen Zugehörigkeit und auch mit jedem Kleidungsstil gleichermaßen treffen.


Insgesamt wird bei Taten sexueller Gewalt das Opfer zu sehr in das Blickfeld gerückt. Denn Schuld sind immer die Täter. Zu sexueller Gewalt neigen hier vor allem Personen mit hohen Ausprägungen für Sexismus, Autoritarismus und einer sozialen Dominanzorientierung also einer hierarchisch geprägten Denkweise.



Warum gibt es diese Irrglauben?


Vergewaltigungsmythen haben mehrere Funktionen. Zum Einen können sie genutzt werden um weitere Informationen über Vergewaltigunssituationen zu (er-)finden, da das Gehirn automatisch versucht Erklärungen für Geschehnisse auszumachen. Erklärbare Ereignisse werden als weniger erschütternd wahrgenommen, da sie in bekannte Schemata passen. Die zweite Funktion betrifft vor allem (potenzielle) Opfer sexueller Gewalt. Würde die Bedrohung potenzieller Vergewaltigungen in das Selbstkonzept aufgenommen werden, würde diese Vulnerabilität viel bewusster vor einem schweben. Eine weitere Funktion dieser Mythen ist das Relativieren des eigenen Verhaltens. Sie ermöglichen das Herunterspielen eigener aggressiver sexueller Tendenzen, wodurch das eigene Gewissen entlastet wird.

Als letzten Punkt kann der Glaube an eine gerechte Welt angeführt werden. Dieser Glauben besagt, dass vor allem Menschen, die sich schlecht verhalten, Schlechtes widerfährt. Durch eine Täter-Opfer-Umkehr kann somit erklärt werden, warum die eigentlichen Opfer ihr Schicksal verdient hätten.


Wie mit Opfern umgehen?

Auch im Kontext sexueller Gewalt ist eine präventive Herangehensweisene grundlegend. Mit Kindern sollte rechtzeitig über Sexualität gesprochen und ein Verständnis aufgebaut werden, was Consent ist, dass sie Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper haben und wann es wichtig ist “Nein” zu sagen.


Betroffenen sollte Vertrauen und Sicherheit angeboten werden, auch wenn es für Betroffene schwierig sein kann, dies anzunehmen. Es kann helfen, als Ansprechpartner:in da zu sein, ohne dabei Druck aufzubauen. Betroffene sollten sich nicht genötigt fühlen mit Anderen über ihre Probleme zu reden, sondern nur wenn sie es möchten. Zudem kann auch Ablenkung gewünscht sein. Auch das Übernehmen von Haushaltsaktivitäten, wie Einkaufen, Kochen oder Putzen kann zur Erholung Betroffener beitragen.

Dem Entgegen kann auch Abstand gewünscht sein. Dies sollte auf jeden Fall akzeptiert werden, dem Opfer kann aber signalisiert werden, dass es sich jederzeit melden kann.

Auf das Geschehene bezogen ist es wichtig die Geschichte der betroffenen Person anzunehmen und zu validieren. Auf keinen Fall sollte versucht werden zu relativieren oder Erklärungen zu suchen. Es geht darum, das Gesagte zu akzeptieren und zuzuhören. Unter keinen Umständen sollten dem Opfer Vorwürfe gemacht werden. Nur Täter sind an sexuellen Übergriffen schuld. Über Möglichkeiten einer Anzeige oder Ähnliches kann informiert werden, es sollte aber nicht zu diesen Maßnahmen gedrängt werden. Die betroffene Person hat einen tiefen Einschnitt in die eigene Selbstbestimmung erlebt und muss sich diese erst wieder aufbauen.


Weitere Hilfen, die in Anspruch genommen werden können sind zum Beispiel:

  • Krisenchat: https://krisenchat.de/ Ein allgemeiner Onlinechat, bei dem jeder Person individuell weitergeholfen wird. Eine Vermittlung an andere Hilfsangebote ist hier ebenfalls möglich.

  • Weißer Ring: https://weisser-ring.de/ Tel.: 116 006 Unterstützung bei erlebter Gewalt, sowohl vor Ort, telefonisch oder online

  • Hilfeportal www.hilfe-missbrauch.de Unterstützung bei sexueller Gewalt, sowohl vor Ort, telefonisch oder online



Quellen

Borumandnia, N., Khadembashi, N., Tabatabaei, M., & Alavi Majd, H. (2020). The prevalence rate of sexual violence worldwide: A trend analysis. BMC Public Health, 20(1), 1835. https://doi.org/10.1186/s12889-020-09926-5

Bohner, G., Eyssel, F., Pina, A., Siebler, F., & Viki, G. T. (2009). Rape myth acceptance:

Cognitive, affective, and behavioural effects of beliefs that blame the victim and

exonerate the perpetrator. In M. A. H. Horvath & J. M. Brown (Eds.), Rape:

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Gerger, H., Kley, H., Bohner, G., & Siebler, F. (2007). The acceptance of modern myths about sexual aggression scale: development and validation in German and English. In Aggressive Behavior (Vol. 33, Issue 5, pp. 422–440). Wiley. https://doi.org/10.1002/ab.20195

Spohn, C., White, C., & Tellis, K. (2014). Unfounding Sexual Assault: Examining the Decision to Unfound and Identifying False Reports. In Law & Society Review (Vol. 48, Issue 1, pp. 161–192). Wiley. https://doi.org/10.1111/lasr.12060

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