Persönlichkeitsstörungen:Wenn Muster zur Last werden
- Inga
- 30. Juli
- 7 Min. Lesezeit

Jeder Mensch hat Eigenarten – stabile Verhaltensmuster, die uns einzigartig machen. Doch wann wird eine Besonderheit zur Störung? Persönlichkeitsstörungen (PS) sind tiefgreifende, anhaltende Muster im Denken, Fühlen und Handeln, die deutlich von kulturellen Erwartungen abweichen und zu persönlichem Leid oder Beeinträchtigungen führen können.
Was sind Persönlichkeitsstörungen?
Persönlichkeitsstörungen sind tief verwurzelte, unflexible Verhaltens- und Denkmuster, die die Wahrnehmung, das Erleben und die Interaktion mit der Welt erheblich beeinflussen. Laut dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5) handelt es sich dabei um dauerhafte Muster innerer Erfahrungen und Verhaltensweisen, die in starkem Maße von den kulturellen und sozialen Normen einer Gesellschaft abweichen. Diese Muster sind über einen längeren Zeitraum stabil und beginnen meist in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter. Sie beeinträchtigen verschiedene Lebensbereiche und führen zu wiederholten Schwierigkeiten im täglichen Leben.
Die Merkmale von Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörungen lassen sich durch spezifische Merkmale in mindestens zwei der folgenden vier Bereiche beschreiben:
Kognition (Wahrnehmung und Interpretation von sich selbst, anderen und Ereignissen): Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung haben oft verzerrte Sichtweisen auf sich selbst und auf andere. Sie neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten, Eigenschaften oder Schwächen zu überschätzen oder zu unterschätzen. Ihre Interpretation von zwischenmenschlichen Beziehungen oder sozialen Situationen ist häufig übertrieben oder ungenau. Ein Beispiel hierfür wäre eine Person, die ständig denkt, dass andere ihr schaden wollen, obwohl es keine objektiven Hinweise darauf gibt.
Affektivität (Bandbreite, Intensität, Labilität emotionaler Reaktionen): Personen mit Persönlichkeitsstörungen erleben häufig extreme und unkontrollierte emotionale Reaktionen. Ihre Gefühle können sehr intensiv und schnell wechselnd sein. Es kann auch eine starke Instabilität in der Fähigkeit bestehen, Emotionen in angemessenem Maße zu regulieren. So kann eine Person bei einer kleinen Enttäuschung völlig aus der Fassung geraten oder übermäßig euphorisch reagieren.
Zwischenmenschliches Funktionieren: Ein weiteres herausragendes Merkmal von Persönlichkeitsstörungen ist das gestörte zwischenmenschliche Verhalten. Betroffene haben Schwierigkeiten, stabile und gesunde Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Ihre Interaktionen können von Misstrauen, Feindseligkeit oder übermäßiger Abhängigkeit geprägt sein. Oft ziehen sie sich aus sozialen Kontakten zurück oder erleben wiederholt Konflikte mit anderen Menschen. Diese Störungen im sozialen Bereich betreffen sowohl familiäre Beziehungen, als auch Freundschaften und berufliche Bindungen.
Impulskontrolle: Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben oft Schwierigkeiten, ihre Impulse zu kontrollieren. Dies kann zu riskantem oder destruktivem Verhalten führen, wie zum Beispiel plötzlichen Wutausbrüchen, Drogenmissbrauch oder selbstverletzendem Verhalten. Ihre Fähigkeit, langfristige Konsequenzen ihrer Handlungen abzuwägen, ist oft beeinträchtigt. Ein klassisches Beispiel sind Menschen, die in stressigen Situationen unüberlegte, spontane Entscheidungen treffen, ohne an die Folgen zu denken.
Dauerhafte Muster und ihre Auswirkungen
Im Vergleich zu vorübergehenden, situativen emotionalen Reaktionen, sind Persönlichkeitsstörungen durch stabile und wiederkehrende Muster gekennzeichnet. Diese Muster beginnen in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter und bleiben im Laufe des Lebens bestehen, wobei sie sich oft verstärken, wenn sie unbehandelt bleiben. Sie können in verschiedenen Bereichen des Lebens auftreten, etwa in der Arbeit, im sozialen Umfeld oder in intimen Beziehungen, und führen oft zu wiederholten Konflikten und Problemen im täglichen Leben.
Ein Mensch mit einer Persönlichkeitsstörung hat möglicherweise eine eingeschränkte Fähigkeit, sich anzupassen oder auf unterschiedliche Lebensumstände angemessen zu reagieren. Dadurch entstehen regelmäßige Probleme in der beruflichen und privaten Lebensführung, was nicht nur zu persönlichem Leid, sondern auch zu Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen Menschen führen kann.
Entstehung von Persönlichkeitsstörungen
Die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen (PS) ist ein komplexer Prozess, der durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Diese umfassen genetische, biologische, psychologische und soziale Aspekte. In der Forschung wird zunehmend erkannt, dass Persönlichkeitsstörungen nicht nur durch eine einzelne Ursache, sondern durch das Zusammenspiel mehrerer Risikofaktoren entstehen. Einige dieser Faktoren, die das Risiko für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung erhöhen können, sind:
Genetische Prädispositionen: Genetische Faktoren spielen eine Rolle bei der Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen, da Menschen mit familiärer Vorbelastung ein höheres Risiko haben. Besonders Faktoren, die die Emotionsregulation betreffen, wie erhöhte Reizbarkeit, können zur Entstehung beitragen.
Traumatische Kindheitserlebnisse: Frühkindliche Traumata wie Missbrauch oder Vernachlässigung können das Vertrauen in andere und das Selbstbild stark schädigen. Dies führt häufig zu Schwierigkeiten in Beziehungen und Emotionsregulation, besonders bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Bindungsstörungen: Eine unsichere Bindung zu den primären Bezugspersonen beeinträchtigt die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls. Menschen mit gestörten Bindungen haben oft Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen und erleben intensive Ängste, wie sie bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen typisch sind.
Dysfunktionale familiäre oder soziale Umfelder: Ein dysfunktionales familiäres Umfeld mit Missbrauch oder mangelnder emotionaler Unterstützung fördert die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen. Kinder in solchen Umfeldern lernen oft, ihre Bedürfnisse zu unterdrücken oder entwickeln Misstrauen gegenüber anderen.
Neurobiologische Auffälligkeiten: Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen wie Borderline wurden Veränderungen in der Amygdala und im präfrontalen Kortex festgestellt. Diese Auffälligkeiten können zu übermäßiger emotionaler Reaktivität und eingeschränkter Impulskontrolle führen, was impulsives Verhalten verstärken kann.
Die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen:
Der DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) ist ein von der American Psychiatric Association herausgegebenes Klassifikationssystem, das weltweit in der Diagnostik von psychischen Störungen verwendet wird. Der ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) ist ein international anerkanntes System der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Krankheiten und Gesundheitsprobleme klassifiziert, einschließlich psychischer Störungen.
Im DSM-5 werden 10 Persönlichkeitsstörungen in drei Cluster (A, B, C) unterteilt, während der ICD-10 dieselben 10 Störungen ohne Clusterbildung klassifiziert und teilweise unterschiedliche Begriffe verwendet.
Paranoide PersönlichkeitsstörungMenschen mit dieser Störung sind von Misstrauen und der Überzeugung geprägt, dass andere sie ausnutzen oder schädigen wollen. Sie sind oft übermäßig vorsichtig, verletzen Beziehungen durch Verdächtigungen und reagieren feindselig auf Kritik.
Schizoide PersönlichkeitsstörungBetroffene bevorzugen Isolation und ziehen sich emotional von anderen zurück. Sie zeigen wenig Interesse an sozialen Interaktionen und haben eine eingeschränkte Bandbreite an Gefühlen, was sie in sozialen Beziehungen oft als distanziert erscheinen lässt.
Schizotypische PersönlichkeitsstörungPersonen mit dieser Störung haben eigenartige Gedanken, Überzeugungen oder Verhaltensweisen, die sie von anderen isolieren. Sie erleben häufig intensive Ängste in sozialen Situationen und haben ein ungewöhnliches Weltbild, das ihre Beziehungen beeinträchtigt.
Antisoziale PersönlichkeitsstörungMenschen mit dieser Störung zeigen ein wiederholtes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer. Sie handeln oft impulsiv, ohne Rücksicht auf Konsequenzen, und zeigen wenig Reue für ihre Taten.
Emotional-instabile PersönlichkeitsstörungDiese Störung umfasst instabile Beziehungen, starke Stimmungsschwankungen und eine schwankende Selbstwahrnehmung. Sie wird in zwei Typen unterteilt:
· Typ I: Impulsiver TypPersonen mit diesem Typ zeigen impulsives Verhalten, neigen zu aggressiven Ausbrüchen und haben Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu kontrollieren. Sie handeln häufig ohne nachzudenken, was zu riskanten Entscheidungen und Konflikten führt.
· Typ II: Borderline-TypDieser Typ zeichnet sich durch extreme Stimmungsschwankungen, intensive Ängste vor Verlassenwerden und ein instabiles Selbstbild aus. Beziehungen sind häufig von intensiven, aber auch instabilen Bindungen geprägt, und es kommt oft zu selbstverletzendem Verhalten und emotionaler Instabilität.
Histrionische PersönlichkeitsstörungBetroffene suchen ständig nach Aufmerksamkeit und Bestätigung und haben oft übertriebene, dramatische emotionale Ausbrüche. Sie setzen häufig ihr Aussehen oder Verhalten ein, um die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu lenken.
Narzisstische PersönlichkeitsstörungPersonen mit dieser Störung haben ein übersteigertes Gefühl der eigenen Wichtigkeit, erwarten Bewunderung und zeigen wenig Empathie für andere. Sie haben oft Schwierigkeiten, Kritik zu akzeptieren und entwickeln ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen.
Vermeidend-dependente PersönlichkeitsstörungBetroffene neigen zu übermäßiger Angst vor Ablehnung und vermeiden soziale Situationen, die zu negativem Urteil führen könnten. Gleichzeitig zeigen sie ein starkes Bedürfnis nach Unterstützung und Bestätigung von anderen, was zu einer übermäßigen Abhängigkeit führt.
Obsesive-kompulsive PersönlichkeitsstörungDiese Störung zeichnet sich durch einen übermäßigen Drang nach Ordnung, Perfektionismus und Kontrolle aus. Betroffene sind in ihren Gedanken und Handlungen stark auf Details, Regeln und Strukturen fixiert, was zu Schwierigkeiten im sozialen und beruflichen Leben führen kann.
Dependent PersönlichkeitsstörungMenschen mit dieser Störung haben ein starkes Bedürfnis nach Unterstützung und Hilfe von anderen, sind oft passiv und vermeiden es, Verantwortung zu übernehmen. Sie fürchten, verlassen oder abgelehnt zu werden, was zu einer übermäßigen Abhängigkeit von anderen führt.
Diese Störungen variieren stark in ihrer Ausprägung und den Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Sie erfordern oft spezifische therapeutische Ansätze, um den Umgang mit den Symptomen und zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der oft verschiedene Therapieformen kombiniert. Ziel ist es, die Wahrnehmung und das Verhalten zu ändern, emotionale Stabilität zu fördern und zwischenmenschliche Fähigkeiten zu verbessern, um die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen.
Kognitive Verhaltenstherapie (CBT)Diese weit verbreitete Therapieform hilft den Betroffenen, ihre verzerrten Gedanken und Verhaltensmuster zu erkennen und zu ändern. Sie eignet sich besonders für die Behandlung von Störungen, bei denen die Wahrnehmung von sich selbst und anderen stark negativ oder fehlerhaft ist, wie bei der paranoiden, narzisstischen oder vermeidend-dependente Persönlichkeitsstörung.
Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)Speziell entwickelt für die Borderline-Persönlichkeitsstörung, hilft DBT den Patienten, ihre extremen Emotionen zu regulieren und gesunde zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Sie kombiniert Aspekte der kognitiven Verhaltenstherapie mit Achtsamkeits- und Akzeptanzstrategien.
Psychodynamische TherapieDiese Therapieform konzentriert sich auf die tief verwurzelten, oft unbewussten Konflikte aus der Kindheit, die das gegenwärtige Verhalten beeinflussen. Sie wird häufig bei narzisstischen, histrionischen oder emotional-instabilen Persönlichkeitsstörungen eingesetzt, um das Selbstwertgefühl und zwischenmenschliche Probleme zu bearbeiten.
VerhaltenstherapieHierbei handelt es sich um eine Therapie, die durch gezielte Verhaltensänderungen den Umgang mit Ängsten und Problemen verbessert. Sie wird häufig verwendet, um Vermeidungsverhalten, übermäßige Ängste oder Impulsivität zu verringern, und wird oft bei vermeidend-dependenten, obsessiven oder emotional-instabilen Persönlichkeitsstörungen eingesetzt.
Medikamentöse BehandlungMedikamente wie Antidepressiva, Stimmungsstabilisierer oder Antipsychotika können als ergänzende Maßnahme zur Linderung von begleitenden Symptomen wie Depressionen, Angstzuständen oder Impulsivität eingesetzt werden. Sie werden in der Regel nicht als Hauptbehandlung für Persönlichkeitsstörungen verwendet, können jedoch helfen, die Lebensqualität zu verbessern.
Fazit
Persönlichkeitsstörungen sind tief verwurzelte, stabile Muster im Denken, Fühlen und Verhalten, die in erheblichem Maße das Leben der Betroffenen beeinflussen und häufig zu zwischenmenschlichen und beruflichen Konflikten führen. Die Ursachen für Persönlichkeitsstörungen sind vielschichtig und reichen von genetischen Prädispositionen bis hin zu traumatischen Erlebnissen und dysfunktionalen familiären Strukturen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um das Leben der Betroffenen zu stabilisieren und die Lebensqualität zu verbessern.
Die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen erfordert in der Regel einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem verschiedene Therapieformen wie kognitive Verhaltenstherapie (CBT), dialektisch-behaviorale Therapie (DBT), psychodynamische Therapie und Verhaltenstherapie zum Einsatz kommen. In vielen Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung zur Linderung von Begleitsymptomen hilfreich sein. Wichtig ist, dass die Therapie individuell auf die jeweilige Störung und die Bedürfnisse des Betroffenen abgestimmt wird. Mit einer geeigneten Therapie können viele Menschen lernen, ihre Symptome besser zu kontrollieren und gesunde zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, was zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität führt.
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