
Soziale Angst verstehen
Angst im Generellen
Grundsätzlich ist normale Angst von klinisch bedeutsamen Ängsten abzugrenzen.
„Angst ist eine der wichtigsten Grundemotionen, einer unserer wichtigsten Wegweiser. Ihre Funktion ist es, die Aufmerksamkeit auf mögliche Gefahren zu lenken, Flucht und Abwehr zu bahnen und somit letztlich das Überleben zu sichern.“ (Springer)
Häufige Ängste sind evolutionär erklärbar und gehen auf verankerte Verhaltensmuster zurück und können als ein lange erlernter Prozess angesehen werden, ist jedoch nicht allein auf physische Gefahren beschränkt, sondern kann ebenso unser soziales Umfeld und Kontakt zu anderen Personen umfassen.
Soziale Angststörung – Grundlegendes und Symptome
Angst kennen alle Menschen, aber die Personen, die unter einer sozialen Phobie leiden, haben große Angst vor jeglichen sozialen Situationen und eventuell damit verbundener Zurückweisung oder negativer Beurteilung. Konkret befürchten sie, dass sie sich falsch verhalten könnten oder wegen einer ihrer Eigenschaften kritisch bewertet zu werden. Diese Befürchtungen treten meist im Kontext von sozialen Ereignissen (s. u.) auf, können jedoch bereits bei „unbedeutenderen“ Ereignissen auftreten wie beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, bei einer Bestellung im Restaurant oder beim Flanieren durch die Stadt.
Die Symptome einer Angststörung können vielfältig und individuell auftreten und können sich in unterschiedlichen körperlichen Reaktionen manifestieren: das Herz fängt an zu rasen, man beginnt zu schwitzen, die Muskeln spannen sich an und/oder man bekommt Übelkeitsgefühle, etc. Die beschriebenen Symptome können so stark ausgeprägt sein, dass man in diesem Zusammenhang auch von einer sogenannten Panikattacke sprechen kann. Eine typische Befürchtung von den Betroffenen ist, dass andere diese Symptome bemerken und negativ bewerten könnten. Das Gefühl, in sozialen Situationen nicht angemessen funktionieren zu können, ist für diese Personen überwältigend und nehmen den Großteil der Gedanken ein. Hierbei kann noch zwischen verschiedenen Formen sozialer Angst unterschieden werden, wie in Leistungs- oder Interaktionssituationen und weiteren spezifischen Formen.
Beispiele für alltägliche soziale Situationen, die Angst auslösen können, sind im Folgenden aufgelistet
Einen Vortrag halten oder etwas präsentieren; eine Prüfung ablegen
Etwas umtauschen; an der Kasse anstehen
jemanden um etwas bitten/ jemandem widersprechen
(In der Öffentlichkeit) telefonieren
Ein Essen zurückgehen lassen
Zu spät erscheinen
Vor den Arbeitskollegen vom Chef gelobt werden
Der Besuch einer Geburtstagsfeier
Der Weg von Symptom zu Diagnose
Wie bereits erwähnt, werden sich vermutlich die meisten in der ein oder anderen Situation wiederfinden – zu diesem Zeitpunkt wird bisher nur von geringeren Symptomen gesprochen, diese können sich allerdings großflächiger ausbreiten, dennoch wird im Kontext der sozialen Phobie wird somit eine hohe Dunkelziffer angenommen. Grundsätzlich gilt bei vielen Symptombildern, dass der Leidensdruck eine entscheidende Rolle spielt – kommt es durch immer häufiger auftretende Ängste zur Einschränkung des Lebens, ist dieser Leidensdruck bereits sehr hoch. Beginnend mit „harmloser“ Angst in einer oder mehreren bestimmten Situation(en) (= Symptom), muss die Angst, um als klinisch bedeutsam betrachtet zu werden, typischerweise mit weiteren Kriterien verbunden sein, um ein Syndrom abzubilden, mit bestimmten Merkmalen, die zu dem spezifischen Bild passen – es sollte sich darum um ein primäres Syndrom und nicht beispielweise um Begleiterscheinungen handeln. Die Angst sollte darüber hinaus längerfristig vorhanden sein, das heißt in der Situation anhaltend und ggf. dazu führend, diese zu vermeiden (Erwartungsangst). Therapeuten arbeiten darüber hinaus im Rahmen der Diagnosestellung häufig mit Fragebögen, um ein differenziertes Bild über die angstauslösenden Situationen des Patienten zu erlangen. Eine rechtzeitige Diagnose sowie therapeutische Intervention ist ausschlaggebend für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von komorbiden (= sekundären) Störungen wie beispielsweise Depressionen oder Substanzmissbrauch. Charakteristisch für die soziale Phobie ist, dass sie in der Regel im Jugendalter das erste Mal auftritt. Ursächlich für das Auftreten werden traumatische oder andere negativ konnotierte Lebenserfahrungen, genetische Einflüsse und/oder neurobiologische Dysfunktionen als mögliche Faktoren diskutiert. Darüber hinaus führt es häufig zu einem chronischem Verlauf, welcher häufig im Zuge einer Langzeitbehandlung versucht wird abzumindern.

Behandlungsansätze sozialer Phobie
Der erste Schritt zur Besserung ist dabei das Eingestehen und der Weg über Akzeptanz bis hin zum Öffnen gegenüber anderen Personen. Bei sozialen Ängsten gibt es verschiedene Ansätze: Selbstöffnung, Medikamente, Psychotherapie – Abwarten reicht hierbei nicht aus, es muss aktiv gehandelt und gegengewirkt werden. Die gängigste Intervention ist die kognitiv-behaviorale (Verhaltens-)Therapie, bei welcher das zentrale Element das Aufsuchen von den mit Angst verbundenen sozialen Situationen darstellt. Dies erfolgt beispielsweise durch sogenannte Konfrontationsübungen, bei denen der Therapeut den Patienten in den betreffenden Situationen begleitet und diese mit ihm gemeinsam durchsteht. Die medikamentösen Möglichkeiten werden hier nicht behandelt.
Gemeinsam vereinsamen
Nahestehende Personen von Betroffenen sind häufig indirekt mitgefangen, fühlen sich hilflos und suchen nach Möglichkeiten, die betroffenen Personen zu unterstützen.
Die Freundschaft oder besonders auch Partnerschaft mit einer Person, welche unter sozialer Phobie leidet, kann durchaus belastend sein – besonders dann, wenn man sich in den Kreislauf der sozialen Phobie ebenfalls mitziehen lässt und sich eine Co-Abhängigkeit entwickelt. Als Bezugsperson möchte man die Betroffenen nicht unbedingt dazu zwingen, sich angstauslösenden Situationen stellen zu müssen, andererseits ist man ggf. abgeneigt, verschiedene Ereignisse oder Situationen alleine zu erleben – man beginnt, gemeinsam zu vereinsamen, indem der sozialen Phobie der einen Person die Kraft gegeben wird, das Leben beider Menschen zu bestimmen. Dem sollte entgegengewirkt werden.
Die folgenden Punkte sollen als Richtungsweiser dienen, um Angehörigen weiterzuhelfen:
Die ersten Schritte sind, die soziale Phobie in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren, um die inneren und äußeren Konflikte zu lösen, da soziale Ängste häufig zunächst irrational erscheinen – versuchen Sie zu verstehen.
Hören Sie betroffenen zu und nehmen Sie sie ernst.
Um das Krankheitsbild besser zu verstehen, können diverse Informationsquellen herangezogen werden, wie beispielsweise Ratgeber, Selbsthilfegruppen für Angehörige oder Therapeuten – informieren Sie sich für ganzheitlicheres Verständnis.
Ermutigen Sie zur Selbsthilfe oder noch besser: zu einer Psychotherapie; denn letztendlich müssen die Betroffenen aus eigenem Antrieb handeln und bereit sein, etwas zu verändern
Unterstützen Sie. Zeigen Sie sich hilfsbereit und verständnisvoll, versichern Sie, dass Sie schwierige Situationen gemeinsam meistern können – die betroffene Person ist nicht allein. Die soziale Phobie sollte nicht mit Schüchternheit verwechselt oder gleichgesetzt werden. Eine soziale Phobie grenzt sich von der Schüchternheit durch die erhebliche Stressbelastung in sozialen Situationen ab. In diesen wird mit ausgeprägter Angst/Furcht reagiert, das zu Vermeidungsverhalten führen kann
Es ist wichtig seine eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren und sein eigenes soziales Netzwerk weiterhin zu pflegen, beginnen Sie nicht, selber soziale Aktivitäten zu meiden – Ansonsten könnte langfristig die Beziehung sowohl zur betroffenen Person als auch zum nahestehenden Umfeld des Angehörigen gefährdet werden oder der Angehörige wird zunehmend unzufrieden mit seinem eigenen Leben
Zusammen die Situation meistern
Unterstützen Sie also die betroffene Person, aber lassen Sie ihr eigenes Leben, ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht außer Acht. Es kann bereits ungemein helfen, wenn betroffene wissen, dass Sie den Weg der Besserung nicht alleine beschreiten müssen.
Quellen
Bohn, C. & Stangier, U. (2009). Soziale Phobie: Diagnostik, Ätiologie und Behandlung. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57(3), 149–159. https://doi.org/10.1024/1661-4747.57.3.149
Consbruch, K. von & Stangier, U. (2021). Ratgeber Soziale Phobie: Informationen für Betroffene und Angehörige (2. Aufl.). Ratgeber zur Reihe Fortschritte der Psychotherapie: Band 45. Hogrefe. https://elibrary.hogrefe.com/book/10.1026/02975-000 https://doi.org/10.1026/02975-000
Fehm, L. & Knappe, S. (2020). Soziale Angststörung. In J. Hoyer & S. Knappe (Hrsg.), Lehrbuch. Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Aufl., S. 1121–1140). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1_49
Schäfer, U. & Rüther, E. (2005). Ängste
Hoyer, Jürgen, Soziale Angst verstehen und verändern, Springer Verlag (2017)