
Agoraphobie verstehen
Was ist eine Agoraphobie?
Der Begriff ‚Agoraphobie‘ wird oft auch als sogenannte ‚Platzangst‘ bezeichnet. Im Griechischen bedeutet ‚Agora‘ so viel wie Marktplatz/öffentlicher Platz. Betroffene fürchten an bestimmten Orten oder in Situationen eine Panikattacke beziehungsweise einzelne Symptome dieser zu bekommen und keine Möglichkeit zur Flucht zu haben. Diese ausgeprägte Angstreaktion tritt zum Beispiel beim Fahren mit dem Bus, beim Kinobesuch oder auf belebten Marktplätzen auf. Angstauslösende Situationen müssen dabei nicht immer eine große Ansammlung von Menschen beinhalten, vielmehr betreffen sie alltägliche Orte wie Kaufhäuser, Restaurants oder Fahrstühle. Den Betroffenen zufolge steht ihnen in solchen Situationen vermeintlich keine Hilfe zur Verfügung, sodass sie diese meiden. Als Folge dessen verlassen Betroffene nur ungern ihre ‚sichere‘ häusliche Umgebung und vermeiden diese Situationen. Umso weiter Orte von dieser sicheren Umgebung entfernt liegen, desto weniger wahrscheinlich suchen Betroffene diese auf. Sie befürchten sie könnten sich nicht rechtzeitig wieder in Sicherheit bringen. Im Beisein einer vertrauten Begleitperson kann sich die Angstreaktion kurzfristig verringern. Schäfer und Rüther (2005) weisen jedoch daraufhin, dass langfristig die Angst dadurch zunehmen kann. Neben Begleitpersonen können auch ‚Sicherheitssignale‘ helfen, die angstauslösenden Situationen durchzustehen. Unter Sicherheitssignalen verstehen Schneider und Margraf (2017) beispielsweise angstreduzierende Medikamente, die mitgenommen werden oder die gespeicherte Telefonnummer des Therapeuten. In der Regel kommt es im Rahmen der Erkrankung zu einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten, welches die Betroffenen stark an der Teilnahme am sozialen Leben einschränkt.
Was sind die Symptome bei einer Agoraphobie?
Die Symptome einer Angststörung können vielfältig und individuell auftreten. Diese können sich in unterschiedlichen körperlichen Reaktionen manifestieren: das Herz fängt an zu rasen, man beginnt zu schwitzen, die Muskeln spannen sich an und/oder man bekommt Übelkeitsgefühle etc. Die beschriebenen Symptome können so stark ausgeprägt sein, dass man in diesem Zusammenhang auch von einer sogenannten ‚Panikattacke‘ sprechen kann.
Wann wird sie diagnostiziert?
Für die Agoraphobie wird eine 1-Jahres-Prävalenz von 2 % sowie eine Lebenszeitprävalenz von ca. 4 % geschätzt (Prävalenz = Krankheitshäufigkeit). Ähnlich wie bei einer Panikstörung ist der Störungsbeginn eher bei älteren Altersstufen vertreten. Nach In-Albon und Margraf (2020) gibt es Hinweise darauf, dass im Unterschied zur Panikstörung der Geschlechtsunterschied bei der Agoraphobie noch ausgeprägter ist. Frauen leiden häufiger als Männer an einer Agoraphobie. Wie die soziale Phobie ist der Verlauf der Agoraphobie in der Regel langjährig beziehungsweise chronisch und es liegt eine hohe Inanspruchnahme des Gesundheitssystem vor.
Sowohl in den Vorgängerversionen des DSM als auch des ICD stand die Diagnose der Agoraphobie im Zusammenhang mit der Panikstörung. Im DSM-V sowie auch im kommenden ICD-11 Werk können beide Störungen unabhängig voneinander oder gleichzeitig diagnostiziert werden. Neben der Hauptdiagnose der Agoraphobie liegt eine hohe Komorbidität (Verknüpfung mit weiteren Krankheitsbildern) zu anderen Störungen wie beispielsweise anderen Angststörungen, Depressionen oder substanzbezogenen Störungen vor. Besonders depressive Episoden entwickeln sich aufgrund der enormen psychischen Belastung meistens schon zu Beginn der Agoraphobie.
Wie wird sie behandelt?
Es gibt verschiedene therapeutische Methoden um eine Agoraphobie zu behandeln. In der Praxis werden folgende dieser Methoden angewandt:
Die Informationsvermittlung (sog. Psychoedukation) zielt darauf ab, zu Beginn eine Verständnisgrundlage für die kommende Behandlung aufzubauen. Dabei wird auf die spezifische Angst – Agoraphobie – eingegangen und beispielsweise anatomische Abläufe erklärt.
Kognitive (den Geist betreffende) Methoden zielen darauf ab, die negativen und angstbegünstigenden Gedanken zu analysieren. Bei der Agoraphobie wird auf die Fehlinterpretationen bei den jeweiligen angsterzeugenden Situationen eingegangen, um diese mit dem Betroffenen zusammen zu hinterfragen und neu zu deuten.
Wie bei der sozialen Phobie ist auch bei der Agoraphobie eine zentrale Behandlungsmethode die Konfrontation mit der Angst in einer angstauslösenden Situation/Ort. Diese sogenannte ‚Exposition in vivo‘ beginnt entweder mit der am wenigsten (graduell) oder der am meisten (massierte) angstauslösenden Situation. Die Autoren In-Albon und Margraf(2020) verweisen auf Forschungsergebnisse die gezeigt haben, dass ein massiertes Vorgehen die günstigste Prognose aufweist.
Tipps für Angehörige
Partner, Eltern, Kinder oder andere dem Betroffenen nahestehende Personen sind häufig indirekt betroffen, fühlen sich hilflos und suchen nach Möglichkeiten die betroffenen Personen zu unterstützen. Es ist wichtig als Angehörige eines Betroffenen diesen nicht in die angstauslösenden Situationen zu drängen, sondern ihnen zur Seite zu stehen. Die Überzeugungen der Betroffenen sollten nicht als ‚falsch‘ abgestempelt werden. Angehörige können mittels sinnstiftenden Hinterfragens und Einfühlvermögen mit den Betroffenen in einen Diskurs treten. In diesem Kontext hat sich besonders die Technik des Entkatastrophisierens bewährt. Bei dieser Technik können sie als Angehörige der betroffenen Person eine „Was-Wäre-Wenn“-Frage stellen. Solch eine Frage könnte beispielsweise lauten: „Was wäre das schlimmste was passieren könnte, wenn du eine Panikattacke im Kaufhaus bekämst?“. Ziel einer solchen Frage ist es, dass die Betroffenen die möglichen Bedrohungen realistischer und als weniger gefährlich einschätzen.
Quellen
Falkai, P., Wittchen, H.‑U., Döpfner, M., Gaebel, W., Maier, W., Rief, W., Saß, H. & Zaudig, M. (Hrsg.). (2020). Diagnostische Kriterien DSM-5® (2., korrigierte Auflage). Hogrefe. https://doi.org/10.1026/03102-000
In-Albon, T. & Margraf, J. (2020). Panik und Agoraphobie. In J. Hoyer & S. Knappe (Hrsg.), Lehrbuch. Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Aufl., S. 1073–1098). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1_47
Schäfer, U. & Rüther, E. (2005). Ängste - Schutz oder Qual? Angststörungen - ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. ABW, Wiss.-Verl.
Schneider, S. & Margraf, J. (2017). Agoraphobie und Panikstörung (2. Aufl.). Fortschritte der Psychotherapie: Band 3. Hogrefe. https://doi.org/10.1026/02513-000