
Stress ist in unser aller Leben absolut alltäglich [3,4]. Das kann Stress von außen sein (z.B. Lernstress), innerer Stress (z.B. Sorgen), aber auch positiver Stress. Meist ist er für uns mit negativen Emotionen verbunden und wirkt wie eine Bedrohung [4,5]. Abgesehen davon, dass wir häufig Stress erleben, beschäftigen wir uns aber auch so oft damit. In Medien wird beispielsweise immer wieder betont, wie schädlich Stress für die Gesundheit sein kann [1,3]. Immerhin ist es auch so, dass Stress mit führenden Todesursachen, Arbeitsunfähigkeit, medizinischen Ausgaben, Produktivitätsverlust, kognitiven Beeinträchtigungen, Depression und anderen psychischen Erkrankungen, Aggression, Beziehungskonflikten und vielem mehr zusammenhängt [1]. Daher geben wir uns oft große Mühe, Stress zu vermeiden wo es nur geht oder zumindest die Effekte zu reduzieren, zum Beispiel auch durch Urlaub, Sport, Cocktailabende oder ähnliches [3,4,5].
Das kann aber auch wieder zu einem eigenen Problem werden. Wir beschäftigen uns oft sehr damit, wie schlecht Stress für uns ist und wie wir ihn irgendwie meiden können, sodass wir uns Stress über den Stress machen, was uns letztendlich vielleicht auch nicht wirklich weiterhilft [1]. Außerdem ändern wir mit solchen Maßnahmen meist nichts an dem Stressauslöser selbst [4]. Schließlich ist Stress auch nicht prinzipiell immer schlecht, das kommt sehr auf die Randbedingungen, aber auch auf die eigene Einstellung an [1,3,4]. Tatsächlich hat sich vielfach gezeigt, dass ein gewisses Maß an Stress die Leistung verbessern kann [1]. Zum Beispiel kann eine mittlere emotionale Erregung bei Klausuren hilfreich sein, um Gelerntes abzurufen [2,3,4]. Oder es fällt uns leichter, konzentriert an Abgaben zu arbeiten, wenn wir wissen dass sie in kurzer Zeit fällig sind [2,3,4].
Dass Stress auch diesen positiven Effekt hat, ist evolutionär gut zu begründen: die körperliche Stressreaktion, wie zum Beispiel ein erhöhter Puls, verbessert die physiologische und mentale Funktionalität, sodass wir besser auf Problemsituationen reagieren können [1,4]. Wir sind also fokussierter, unser Gedächtnis funktioniert besser und auch andere Fähigkeiten und Stärken können gestützt und gefördert werden. Dafür ist aber der Kontext und vor allem die eigene Bewertung entscheidend [1,2]. Die Erwartung, ob erlebter Stress hilfreich oder hinderlich ist, hat einen großen Einfluss darauf, ob er sich tatsächlich positiv oder schädlich auswirkt [1,5]. Wie man internale und externale Signale, sowie eigene Ressourcen und Anforderungen wahrnimmt und dann bewertet spielt eine wichtig Rolle dabei, welche Emotionen generiert werden und wie wir an die Situation herangehen [1,3].
Kognitive Neubewertung
Unter kognitiver Neubewertung versteht man, wenn man Emotionen verändert, indem man ändert wie man über etwas denkt [3,5]. Es hat sich in einigen Studien gezeigt, dass eine Neubewertung der Situation, sodass der Stressor nicht mehr als Bedrohung, sondern eher als Herausforderung gesehen wird, sich positiv auf die verschiedensten Merkmale auswirkt, darunter die erlebten Emotionen, die Leistung, den Umgang mit der Situation, Selbstkontrolle und einige weitere [1,2,3,4].
Es ist also gar nicht immer hilfreich, Stress zu vermeiden oder die darauf folgende Reaktion zu unterdrücken [1,2]. Das bedeutet aber nicht, dass Stress immer positiv ist oder dass er keine negativen Folgen haben könnte. Wichtig ist, beide Seiten im Auge zu behalten [1,3]. Chronischer oder auch sehr starker Stress kann schädlich für uns sein [3]. Es gibt zudem Hinweise, dass Neubewertung nicht bei allen Personen gleich gut funktioniert und zum Beispiel je nach Geschlecht oder Vorerkrankungen (z.B. Depression) unterschiedlich wirksam ist [4,6,7]. Aber man sollte eben nicht vergessen, dass Stress auch unter bestimmten Bedingungen förderlich sein kann [1]. Völlig vermeiden können wir Stress sowieso nicht und in den Situationen, in denen wir ihm ausgesetzt sind, können Techniken wie die Neubewertung helfen, besser damit umzugehen [3].
Außerdem ist es besser präventiv die Einstellungen zu verändern (beispielsweise durch Techniken wie die Neubewertung), als sich im Nachhinein nur auf die Reaktionen zu konzentrieren [4]. Das spricht zum Beispiel die Suppression an, eine Technik, bei der man versucht die negativen Gefühle zu unterdrücken. Man hat aber gesehen, dass solche Suppressionen, im Gegensatz zur kognitiven Neubewertung, eher zu negativeren Emotionen und geringerer Lebenszufriedenheit führen [2,6,7].
Wie kann man das gut umsetzen?
Wie kann man aber stressige Erfahrungen neu bewerten? Das Bewusstsein zu nutzen, um Wahrnehmung, Ziele und Verhalten zu beeinflussen ist doch eher ein abstrakt formuliertes Vorhaben und wirkt erstmal leichter, als es dann tatsächlich getan ist. Ein Ansatz geht von drei wichtigen Schritten aus, um eine gesunde Einstellung zum Stress zu erlangen.
Schritt 1: Stress anerkennen [1]
Um mit dem Stress gut umgehen zu können, sollte man ihn achtsam wahrnehmen und anerkennen. Es ist wichtig, emotionale, physiologische und Verhaltensreaktionen zu bemerken, erstmal auch ohne diese verändern zu wollen. Es geht darum, seine eigene typische Stressreaktionen kennenzulernen. Außerdem bekommt man durch diese Wahrnehmung eine kleine Pause und hat die Chance achtsamer und weniger automatisch zu reagieren. Es gibt eine Reihe von Fragen, die man sich selbst stellen kann, wenn einem das erstmal schwer fällt:
Was stresst dich jetzt gerade? Nenne es einfach, ohne es zu beurteilen.
Was sind deine emotionalen Reaktionen? Welche Gedanken, Einstellungen oder Gefühle generierst du als Reaktion auf den Stress? (Beispiele: Frustration, Trauer, Wunsch den Stress loszuwerden, …)
Was sind deine Verhaltensreaktionen? Welche Maßnahmen ergreifst du (oder eben auch nicht) in Reaktion auf den Stressor? (Beispiele: Streiten, vermeiden, Eis essen, …)
Was sind deine physiologischen Reaktionen? Welche Körpergefühle ändern sich? (Beispiele: Schlafprobleme, Tunnelblick, Herzrasen, Müdigkeit, Magenprobleme, …)
Was ist deine jetzige Einstellung zu dem Stress, den du gerade erfährst? Glaubst du dieser Stress wird vorteilhafte oder schädigende Effekte haben?
Schritt 2: Heiße deinen Stress willkommen [1]
Sich dem Stress zu nähern macht ihn weniger bedrohlich. Daher sind auch Techniken wie die Suppression oft eher kontraproduktiv und erhöhen ungewollte Gedanken. Den Stress ins Leben und die Gedanken zu lassen und ihm so Platz zu geben kann Angstzustände reduzieren, aber auch die Gesundheit und das Kontrollgefühl erhöhen.
Vor allem hilft das aber, da Stress anzunehmen es leichter macht zu sehen, was eigentlich dahintersteckt. Oft wird so ein Stress ausgelöst, weil etwas bedroht ist, das uns wichtig ist [3]. Wir können durch den Stress also erkennen, was uns wirklich viel bedeutet und wo unsere Werte liegen. Fragen, die man sich hier stellen kann, wären: Was ist das Bedürfnis, das hinter diesem Problem steht? Was ist es, was dir so viel bedeutet, weswegen du gestresst bist?
Durch solche Ansätze kann man lernen, Stress eher als Signal wahrzunehmen, das einen daran erinnert, was einem wirklich wichtig ist. Dann haben wir auch die Chance, unsere Ressourcen besser in genau diese Ziele zu investieren.
Schritt 3: Nutze deine Stressreaktion [1]
Bisher dienten die Schritte dazu, Stress ohne Verurteilung wahrzunehmen und sich seiner Ziele und Werte wieder bewusster zu werden. Danach ist es aber weiter hilfreich, Stress nicht nur als Hindernis zu sehen, sondern als Ressource, um seine Ziele zu erreichen. Immerhin erhöht Stress den Fokus, aber auch die Energie. Gerade diese erhöhte Energie kann man dann nutzen, um Herausforderungen zu meistern oder Lösungsmöglichkeiten zu finden. Auch hier kann man sich selbst einige Fragen stellen:
Ist deine Stressreaktion hilfreich für dein Ziel? Ist das Ziel deiner Aktion den Stress zu entfernen oder dem unterliegenden Wert zu helfen?
Welche Veränderungen kannst du an deiner Stressreaktion vornehmen, sodass der Stress, den du erlebst, steigernd statt hemmend ist?
Kannst du den Stress nutzen, um soziale Bindungen aufzubauen? Um dich deinen Zielen wieder zu nähern? Um deine Selbstwirksamkeit zu erhöhen?
Was könnten die versteckten Vorteile oder positiven Ereignisse im Zusammenhang mit dem Stressor sein? Was sind Möglichkeiten, Lektionen oder Einsichten, die als Ergebnis der Stresssituation entstehen könnten?
Generell ist es für uns immer effektiver und besser den Stress anzuerkennen und für sich zu nutzen, als gegen ihn anzukämpfen [6]. Die hier beschriebene Methode hat demnach viele positive Effekte auf psychische und physische Gesundheit, Leistung, Wohlbefinden und andere Variablen [1].
Quellen
1. Crum, Alia J.; Lyddy, Chris (2013): De-stressing stress: The power of mindsets and the art of stressing mindfully. Online verfügbar unter https://www0.gsb.columbia.edu/mygsb/faculty/research/pubfiles/6010/ii%2043%20crum%20lyddy.pdf.
2. Garland, Eric L.; Gaylord, Susan A.; Fredrickson, Barbara L. (2011): Positive Reappraisal Mediates the Stress-Reductive Effects of Mindfulness: An Upward Spiral Process. In: Mindfulness 2 (1), S. 59–67. DOI: 10.1007/s12671-011-0043-8 .
3. Jamieson, Jeremy P.; Crum, Alia J.; Goyer, J. Parker; Marotta, Marisa E.; Akinola, Modupe (2018): Optimizing stress responses with reappraisal and mindset interventions: an integrated model. In: Anxiety, stress, and coping 31 (3), S. 245–261. DOI: 10.1080/10615806.2018.1442615 .
4. Jamieson, Jeremy P.; Mendes, Wendy Berry; Nock, Matthew K. (2013): Improving Acute Stress Responses. In: Curr Dir Psychol Sci 22 (1), S. 51–56. DOI: 10.1177/0963721412461500 .
5. Liu, Jenny J. W.; Ein, Natalie; Gervasio, Julia; Vickers, Kristin (2019): The efficacy of stress reappraisal interventions on stress responsivity: A meta-analysis and systematic review of existing evidence. In: PloS one 14 (2), e0212854. DOI: 10.1371/journal.pone.0212854 .
6. McRae, Kateri; Ciesielski, Bethany; Gross, James J. (2012): Unpacking cognitive reappraisal: goals, tactics, and outcomes. In: Emotion 12 (2), S. 250–255. DOI: 10.1037/a0026351 .
7. Moore, Sally A.; Zoellner, Lori A.; Mollenholt, Niklas (2008): Are expressive suppression and cognitive reappraisal associated with stress-related symptoms? In: Behaviour Research and Therapy 46 (9), S. 993–1000. DOI: 10.1016/j.brat.2008.05.001 .