
Psychische Erkrankungen sind ein komplexes und sensibles Thema, das in der Popkultur immer mehr Aufmerksamkeit erhält. Filme und Serien haben das Potenzial, sowohl Aufklärung zu betreiben als auch Missverständnisse zu verstärken. In diesem Artikel werfen wir einen detaillierten Blick auf die Darstellungen psychischer Krankheiten in den Filmen und Serien "Tote Mädchen lügen nicht", "Split", "Alles steht Kopf" und "Bojack Horseman", um herauszufinden, wo Verbesserungsbedarf besteht und welche Produktionen als positive Beispiele hervorgehoben werden können. Außerdem wird es am Ende eine kleine Hilfestellung geben, um den Umgang mit der Darstellung psychischer Erkrankungen zu erleichtern.
!Spoiler-Warnung für die genannten Filme und Serien!
Ausbaufähige Darstellungen
Tote Mädchen lügen nicht (13 Reasons Why)
"Tote Mädchen lügen nicht" ist eine Netflix-Serie, die auf dem gleichnamigen Roman von Jay Asher basiert. Die Geschichte dreht sich um Hannah Baker, eine Schülerin, die sich das Leben nimmt und 13 Kassetten hinterlässt, auf denen sie die Gründe für ihren Suizid erklärt. Jede Kassette richtet sich an eine Person, die sie als mitverantwortlich für ihren Tod betrachtet.
Trigger-Warnungen und grafische Darstellungen: In der letzten Episode der ersten Staffel zeigt die Serie eine sehr explizite Szene, in der Hannah in einer Badewanne Suizid begeht. Diese Szene wurde intensiv kritisiert, weil sie potenziell auslösend für Zuschauer sein könnte, die ähnliche Gedanken oder Erfahrungen haben. Ein sensiblerer Ansatz hätte darin bestanden, den Suizid nicht explizit darzustellen, sondern durch subtile Andeutungen und off-screen Effekte die gleiche Botschaft zu vermitteln, ohne das Risiko einer Retraumatisierung einzugehen.
Vereinfachung von Ursachen: Die Serie legt nahe, dass Hannahs Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, direkt auf die Handlungen der Personen auf den Kassetten zurückzuführen ist. Diese Vereinfachung ignoriert die komplexen, oft inneren Kämpfe, die zu einem Suizid führen können, und vermittelt möglicherweise den falschen Eindruck, dass solche Entscheidungen nur durch äußere Faktoren beeinflusst werden. Eine nuancierte Darstellung hätte gezeigt, dass psychische Erkrankungen wie Depression eine Vielzahl von Ursachen haben können, einschließlich biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Die Einbeziehung von Therapie-Sitzungen oder ausgiebigen Gesprächen mit einem Schulpsychologen hätte einen realistischeren Einblick in Hannahs mentale Verfassung gegeben.
Romantisierung: Indem die Serie den Suizid als eine Art Vergeltung gegen diejenigen darstellt, die Hannah Unrecht getan haben, besteht die Gefahr, dass junge Zuschauer den Suizid als eine Lösung oder einen Weg, Aufmerksamkeit zu erlangen, missverstehen könnten. Dies ist besonders problematisch, da es den Suizid in einem narrativen Kontext glorifiziert. Eine verantwortungsvollere Darstellung hätte den Fokus auf die langfristigen Konsequenzen und den Schmerz für die Hinterbliebenen gelegt, um die endgültige und tragische Natur eines Suizids zu betonen.
Erhöhte Suizidraten: Eine Studie ergab, dass nach der Veröffentlichung der Serie die Suizidraten unter Jugendlichen um fast 30 % anstiegen. Dies verdeutlicht die potenziellen negativen Auswirkungen einer solchen Darstellung auf ein vulnerables Publikum.
Split
"Split" ist ein Thriller von M. Night Shyamalan, der die Geschichte von Kevin Wendell Crumb erzählt, einem Mann mit Dissoziativer Identitätsstörung (DIS), der 23 verschiedene Persönlichkeiten in sich trägt. Eine dieser Persönlichkeiten ist besonders gefährlich und gewalttätig. Im Film nimmt Kevin die Rolle des Bösewichts ein.
Stigmatisierung: Kevin wird als unberechenbar und gefährlich dargestellt, insbesondere durch die Persönlichkeit "The Beast", die übermenschliche Kräfte besitzt und eine Bedrohung für andere darstellt. Diese Darstellung verstärkt das negative Stereotyp, dass Menschen mit DIS gewalttätig und gefährlich sind, was zu weiterer Stigmatisierung führen kann. In Wirklichkeit sind die meisten Menschen mit DIS eher Opfer von Gewalt als Täter. Eine bessere Darstellung hätte die verschiedenen Persönlichkeiten als Teile eines komplexen, aber nicht bedrohlichen Menschen gezeigt und den Fokus auf die alltäglichen Herausforderungen und die Notwendigkeit therapeutischer Unterstützung gelegt.
Realitätsferne: Die Darstellung von DIS in "Split" ist extrem übertrieben und mischt reale psychische Symptome mit übernatürlichen Elementen. Dies führt zu einer stark verzerrten Wahrnehmung der Erkrankung und erschwert es, ein echtes Verständnis für die Herausforderungen und den Alltag von Menschen mit DIS zu entwickeln. In der Realität ist DIS eine Bewältigungsstrategie, die durch extremen, anhaltenden Missbrauch in der Kindheit entstehen kann, wobei die unterschiedlichen Persönlichkeiten spezifische Rollen übernehmen, um das Individuum zu schützen. Ein realistischerer Film hätte die alltäglichen Schwierigkeiten und die therapeutischen Ansätze gezeigt, die den Betroffenen helfen, mit ihren verschiedenen Persönlichkeiten umzugehen.
Gute Darstellungen
Alles steht Kopf (Inside Out)
"Alles steht Kopf" ist ein Animationsfilm von Pixar, der die Geschichte von Riley, einem elfjährigen Mädchen, erzählt, das mit ihren Emotionen umgeht, als ihre Familie in eine neue Stadt zieht. Die fünf Hauptemotionen – Freude, Traurigkeit, Angst, Wut und Ekel – werden als eigenständige Charaktere dargestellt, die in Rileys Verstand agieren und ihre Handlungen und Entscheidungen beeinflussen.
Einfühlsame Darstellung: Der Film zeigt auf zugängliche und einfühlsame Weise, wie Riley mit ihren Emotionen umgeht. Eine bedeutende Szene ist, als Joy und Sadness in Rileys Unterbewusstsein reisen und erkennen, dass alle Emotionen ihre Berechtigung haben und notwendig sind, um ein ausgewogenes und gesundes Leben zu führen.
Balance von Emotionen: "Alles steht Kopf" betont, dass alle Emotionen wichtig sind, indem er zeigt, wie Traurigkeit schließlich eine positive Rolle in Rileys Leben spielt. Als Riley endlich ihre Gefühle ausdrückt und zu ihren Eltern sagt, dass sie ihre alte Heimat vermisst, erlaubt dies den Eltern, sie zu trösten und ihr zu helfen, mit den Veränderungen umzugehen. Diese Szene unterstreicht, dass Traurigkeit ebenso wichtig ist wie Freude, um emotionale Heilung und Wachstum zu fördern.
Förderung von Verständnis: Der Film hilft besonders Kindern, ihre eigenen Gefühle zu erkennen und zu akzeptieren. Durch die Visualisierung von inneren emotionalen Prozessen wird ein besseres Verständnis für die Wichtigkeit und das Zusammenspiel aller Emotionen geschaffen, was für die emotionale Entwicklung von großer Bedeutung ist. Dies wird deutlich, als Riley versteht, dass es in Ordnung ist, sich traurig zu fühlen und dass Traurigkeit eine notwendige Emotion ist, um Verluste zu verarbeiten und Unterstützung zu suchen.
Bojack Horseman
Die Serie "BoJack Horseman" ist ein weiteres hervorragendes Beispiel für eine nuancierte und realistische Darstellung psychischer Erkrankungen in den Medien. Die animierte Show folgt dem Leben des ehemaligen Sitcom-Stars BoJack Horseman, der mit Depressionen, Sucht und einer Vielzahl anderer psychischer Probleme kämpft.
Realistische Darstellung von Depression und Sucht: BoJacks Kämpfe mit Depression und Alkoholabhängigkeit werden tiefgründig und ehrlich dargestellt. Die Serie zeigt, wie diese Zustände seine Beziehungen und sein berufliches Leben beeinflussen, ohne dabei in Klischees oder Übertreibungen zu verfallen. Die Darstellung ist sowohl roh als auch einfühlsam, was dazu beiträgt, das Verständnis für die Herausforderungen, mit denen Menschen mit diesen Erkrankungen konfrontiert sind, zu vertiefen.
Komplexe Charakterentwicklung: BoJack ist ein komplexer Charakter, der sowohl positive als auch negative Eigenschaften hat. Die Serie vermeidet es, ihn als reinen Helden oder Schurken darzustellen, sondern zeigt ihn als jemanden, der versucht, mit seinen inneren Dämonen zurechtzukommen. Diese Vielschichtigkeit trägt dazu bei, dass Zuschauer eine tiefere Verbindung und ein größeres Verständnis für Menschen mit ähnlichen Problemen entwickeln können.
Offene Diskussionen über Therapie und Hilfe: In "BoJack Horseman" werden auch Themen wie Therapie und der Weg zur Besserung offen angesprochen. Die Serie zeigt, dass der Weg zur Heilung lang und schwierig sein kann, aber auch, dass es möglich ist, Unterstützung zu finden und Fortschritte zu machen. Dies kann Zuschauer ermutigen, selbst Hilfe zu suchen und offen über ihre eigenen Kämpfe zu sprechen.
Reflexion und Selbstbewusstsein: Die Serie reflektiert häufig über die Verantwortung der Medien und die Auswirkungen, die sie auf die Wahrnehmung psychischer Gesundheit haben können. Indem "BoJack Horseman" diese Meta-Ebene einbezieht, regt die Serie das Publikum dazu an, kritisch über die Medienlandschaft und ihre eigenen Annahmen über psychische Erkrankungen nachzudenken.
Besonders bei Bojack Horseman ist es jedoch auch wichtig anzuführen, dass der Humor oft etwas makaber ist und manche der dargestellten Szenen triggernd sein könnten.
Jetzt wo wir uns einige negative und positive Beispiele für die Darstellung psychischer Krankheiten angeguckt haben, gibt es hier noch einmal eine Anleitung zum verantwortungsbewussten und reflektierten Konsum von Medien:
Informiere dich: Je mehr du über psychische Gesundheit weißt, desto besser kannst du die Darstellungen in den Medien einordnen. Lies Bücher, schau Dokumentationen oder nutze Online-Ressourcen, um mehr über verschiedene psychische Erkrankungen zu erfahren. Unser Blog ist ein guter Startpunkt. Wenn du Fragen oder Bedenken zur Darstellung psychischer Erkrankungen hast, suche nach zusätzlichen Ressourcen und Informationen zu diesem Thema auch außerhalb von sozialen Medien wie Twitter oder Reddit. Lies Rezensionen, konsultiere Experten oder tausche dich mit anderen Zuschauern aus.
Hinterfrage Stereotypen: Sei dir bewusst, dass viele Medien Stereotypen über psychische Erkrankungen verbreiten. Hinterfrage diese Stereotypen und erkenne, dass sie oft nicht der Realität entsprechen. Um einen nuancierteren Einblick in den Alltag von Menschen mit spezifischen Erkrankungen zu kriegen, bietet es sich auch an Dokumentationen zu schauen.
Achte auf Trigger-Warnungen: Wenn du weißt, dass bestimmte Inhalte aufgrund von Vorerfahrungen belastend für dich sein könnten, achte auf Trigger-Warnungen. Diese können dir helfen, dich mental darauf vorzubereiten oder zu entscheiden, ob du dir den Inhalt anschauen möchtest. Im Internet kannst du auch auf verschiedenen Online-Portalen Informationen zu eventuell triggernden Szenen kriegen.
Reflektiere deine Reaktionen: Nimm dir Zeit, um deine eigenen Reaktionen nach dem Anschauen von Filmen oder Serien zu reflektieren. Wie hat die Darstellung dich beeinflusst? Hast du nun ein ganzheitlicheres Bild von einer psychischen Erkrankung? Wie stehst du zu deiner eigenen psychischen Gesundheit?
Fazit
Die Darstellung psychischer Krankheiten in Filmen und Serien variiert stark in Qualität und Sensibilität. Während "Tote Mädchen lügen nicht" und "Split" auf verschiedene Weise problematisch sein können, bieten "Alles steht Kopf" und "Bojack Horseman" wertvolle Einsichten und fördern ein besseres Verständnis für psychische Gesundheit. Es ist wichtig, dass Medienverantwortliche weiterhin auf realistische und respektvolle Darstellungen achten, um das Bewusstsein zu schärfen und Stigmata zu verringern. Eine verantwortungsvolle und realistische Darstellung psychischer Krankheiten in Filmen und Serien ist von großer Bedeutung. Solche Darstellungen, in Kombination mit den genannten Schritten zum richtigen Umgang, können das Bewusstsein schärfen, Stigmata abbauen und Betroffene ermutigen, Hilfe zu suchen.
Weiterführende Informationen
Bei suizidalen Gedanken kannst du dich an folgende Stellen wenden: TelefonSeelsorge - Notruf 142
Quellen
1. [New York Times - Controversy Surrounding '13 Reasons Why'](https://www.nytimes.com/2017/03/31/arts/television/13-reasons-why-netflix.html)
2. [Psychology Today - '13 Reasons Why' and Its Impact on Teens](https://www.psychologytoday.com/us/blog/talking-about-trauma/201704/13-reasons-why-and-teen-suicide)
3. [The Guardian - The Simplification of Complex Issues in '13 Reasons Why'](https://www.theguardian.com/tv-and-radio/2017/apr/18/13-reasons-why-netflix-review)
4. [HuffPost - '13 Reasons Why' Could Have Dangerous Effects](https://www.huffpost.com/entry/13-reasons-why-could-have-dangerous-effects_b_58f79f7be4b0de9c4b5d7e1f)
5. [Time - How 'Split' Gets It Wrong](https://time.com/4631605/split-movie-mental-illness/)
6. [BBC - The Dangerous Depiction of Dissociative Identity Disorder in 'Split'](https://www.bbc.com/news/blogs-trending-38698216)
7. [The Atlantic - 'Split' and the Misrepresentation of Mental Health](https://www.theatlantic.com/entertainment/archive/2017/01/split-movie-review/513368/)
8. [Common Sense Media - 'Inside Out' Review](https://www.commonsensemedia.org/movie-reviews/inside-out)
9. [NPR - 'Inside Out' and the Importance of Emotional Balance](https://www.npr.org/sections/health-shots/2015/06/24/417260991/how-inside-out-gets-child
10. [IGN - Why BoJack Horseman Is One of the Best Portrayals of Mental Illness] (https://www.ign.com/articles/2018/09/14/why-bojack-horseman-is-one-of-the-best-portrayals-of-mental-illness)
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