Sportsucht – ab wann ist Sport ungesund?
- Leonie
- 2. Apr.
- 5 Min. Lesezeit

Sport ist gesund – das hören wir überall. Regelmäßige Bewegung stärkt das Herz, verbessert unsere Laune und hilft uns, fit zu bleiben. Doch was passiert, wenn aus dem gesunden Hobby eine unkontrollierbare Obsession wird? Gibt es so etwas wie "zu viel Sport"? Die Antwort lautet: Ja! In diesem Blogeintrag werfen wir einen Blick darauf, was Sportsucht ist.
Wie viel Sport ist gesund?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt gesunden Erwachsenen zwischen 18 und 65 Jahren, mindestens 150 Minuten moderat (z. B. zügiges Gehen, Radfahren, Schwimmen) oder 75 Minuten intensiv (z. B. Joggen, schnelles Radfahren, HIT-Training) pro Woche zu trainieren. Ergänzend dazu empfiehlt sie Krafttraining an zwei Tagen wöchentlich. Diese Empfehlungen können jedoch je nach Gesundheitsstatus oder ob jemand Leistungssport betreibt, variieren. Eine Obergrenze zu Sport wird nicht erwähnt und das hat seinen Grund. Was für den einen vollkommen in Ordnung ist, kann für einen anderen zu viel sein. Das Wichtigste bleibt Balance. Wenn Sport zum einzigen Lebensinhalt wird und andere Bereiche verdrängt, wird es kritisch.
Was ist Sportsucht?
Sportsucht ist eine Verhaltenssucht, eine nicht-stoffgebundene Abhängigkeit, bei der Betroffene ihr exzessives Sporttreiben nicht mehr kontrollieren können. Sie verspüren einen zwanghaften Drang, ihr Training immer weiter zu steigern, sodass Sport zunehmend ihr gesamtes Denken und Handeln bestimmt. Die Vernachlässigung von körperlichen Warnsignalen wie Schmerzen, Erschöpfung oder Überlastung kann zu schweren gesundheitlichen Schäden führen. Dennoch fällt es den Betroffenen schwer, ihr Training einzuschränken, selbst dann, wenn es negative Folgen für ihre Gesundheit, ihr soziales Leben oder ihren Beruf hat. Oft ziehen sich Betroffene zurück, verheimlichen ihr tatsächliches Trainingspensum und geraten in soziale Isolation. Sie treiben lieber alleine Sport und planen ihre Sporteinheiten rigoros und wollen/können nicht von ihrem Trainingsplan abweichen, beispielsweise für ein spontanes Treffen mit Freunden.
Zudem können sie Entzugserscheinungen wie Unruhe, Angst oder Reizbarkeit entwickeln, wenn sie nicht trainieren können. Hinter der Sportsucht steckt häufig ein tieferes psychologisches Problem. Der Sport hilft vermeintlich, dieses Problem zu lösen oder zu kompensieren. Um Ursachen und die Motivation für eine Sportsucht zu verstehen, muss man diese zunächst in zwei Kategorien unterteilen, und zwar in die primäre und die sekundäre Sportsucht.
Primäre Sportsucht
Bei der primären Sportsucht dreht sich alles um das Sporttreiben selbst. Betroffene sind nicht nur vom Training, sondern auch von der Planung und der gedanklichen Auseinandersetzung damit besessen. Der Fokus liegt ausschließlich auf dem Sport und der Leistungssteigerung. Diese Form ist sehr selten und betrifft in der deutschen Bevölkerung schätzungsweise zwischen 0,2 – 1 %.
Ursachen
Die Entstehung einer primären Sportsucht kann verschiedene Hintergründe haben. Zum einen können psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen. Beispielsweise wird Sport eng mit dem eigenen Selbstwertgefühl und der Identität verknüpft. Ohne Sport sinkt also der Selbstwert. Auch biomedizinische Aspekte können einen Einfluss haben. Durch das Training werden körpereigene Opiate (Endorphine) ausgeschüttet, die einen rauschähnlichen Zustand hervorrufen (Beispiel: Runners-High). Allerdings geht man davon aus, dass Endorphine alleine keine Sportsucht verursachen können. Auch kognitive Einflüsse können eine Rolle spielen. Fehlende Strategien zur Emotionsregulation führen dazu, dass Sport als Bewältigungsmechanismus genutzt wird, um negative Gefühle zu bewältigen. Sport dient bei der primären Sportsucht als Selbstzweck und ist die Hauptquelle von Zufriedenheit.
Sekundäre Sportsucht
Bei der sekundären Sportsucht ist exzessiver Sport eine Begleiterscheinung anderer klinischer Störungen. Sport ist nur ein Mittel zum Ziel und dient zur Kompensation oder Realisation der Grunderkrankung. Ursachen sind unrealistische Körperideale, gepaart mit einem unrealistischen Körperbild. Sport dient dabei der Kontrolle des Körpergewichts oder der Kompensation negativer Emotionen. Klassische Grunderkrankungen sind Essstörungen oder Körperbildstörungen. Hier zwei Beispiele.
Magersucht (Anorexia nervosa):
Bei dieser Form der Essstörung führen Betroffene bewusst Untergewicht herbei durch Hungern, Erbrechen oder auch den Missbrauch von Abführmitteln. In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) ist außerdem exzessiver Sport (häufig Joggen) als Symptom aufgelistet. Betroffene versuchen, mit Sport ihren Energieverbrauch zu steigern. Häufig ist ein großes Problem, dass die Betroffenen eine verzerrte Körperwahrnehmung haben und sich als zu dick empfinden, obwohl sie objektiv gesehen schon untergewichtig sind. 40 - 60 % der an Magersucht Erkrankten weisen laut Studien auffälliges Sportverhalten auf. Dabei kann für Betroffene exzessiv schon dreimal 30 min pro Woche bedeuten, wenn sie schon gefährlich nahe am Hungertod sind. Man kann also sehen, dass Sportsucht sehr individuell ist und nicht jeder, der einen Marathon läuft, gleich sportsüchtig ist.
Muskelsucht (Muskeldysmorphie).
Eine weitere Krankheit, bei der oft die sekundäre Sportsucht auftritt, ist die Muskelsucht (Muskeldysmorphie). Betroffene trainieren exzessiv mit dem Ziel, ihren Körper immer muskulöser zu formen. Dabei halten sie sich oft an extrem strenge Ernährungspläne und verbringen einen Großteil ihrer Zeit mit Training und der Planung ihrer körperlichen Entwicklung. Betroffene haben ein verzerrtes Selbstbild und empfinden sich trotz übermäßiger Muskelmasse als zu schmächtig. Besonders verbreitet ist Muskelsucht im Bodybuilding. Studien zeigen, dass bis zu 10 % der Athleten betroffen sein könnten. Wobei unklar ist, ob die Muskelsucht zuerst da war und Betroffene deswegen zum Bodybuilding-Sport gekommen sind oder umgekehrt. Die Fixierung auf den eigenen Körper kann erhebliche Risiken mit sich bringen.
Viele Betroffene greifen zu Anabolika oder setzen Nahrungsergänzungsmittel in übermäßigen Mengen ein, um den Muskelaufbau zu beschleunigen. Der Substanzmissbrauch kann schwere gesundheitliche Folgen haben, darunter Leberschäden, Herz-Kreislauf-Probleme und hormonelle Störungen. Gleichzeitig führt der permanente Druck, den perfekten Körper zu erreichen, oft zu psychischen Belastungen wie Angststörungen, Depressionen oder sozialem Rückzug. Auch körperliche Schäden sind eine häufige Folge der Muskelsucht. Übertraining kann zu Muskel- und Gelenkverletzungen, chronischer Erschöpfung und einem geschwächten Immunsystem führen.
Therapie
Die Behandlung der Sportsucht erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die psychischen als auch die körperlichen Aspekte der Erkrankung berücksichtigt. Ein zentraler Bestandteil ist die Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie. Sie hilft den Betroffenen, zwanghafte Gedanken- und Verhaltensmuster zu erkennen und schrittweise zu verändern. Ziel ist es, das verzerrte Selbstbild zu korrigieren und eine gesündere Einstellung zum eigenen Körper zu entwickeln. Parallel dazu spielt die körperliche Regeneration eine entscheidende Rolle. Das Trainingspensum wird gezielt reduziert, um den Körper vor weiteren Schäden zu schützen. Dieser Prozess erfolgt unter medizinischer Aufsicht, um mögliche Entzugserscheinungen oder körperliche Beschwerden zu kontrollieren.
Ein weiteres wichtiges Ziel der Therapie ist die soziale Reintegration. Da Betroffene oft soziale Kontakte vernachlässigen, wird daran gearbeitet, Beziehungen zu Freunden und Familie wiederherzustellen. Gleichzeitig werden alternative Freizeitaktivitäten gefördert, um den Fokus weg vom exzessiven Training zu lenken. Um Rückfälle zu vermeiden, ist es essenziell, neue Bewältigungsstrategien zu erlernen. Dazu gehören Techniken zur mentalen Kontrolle sowie der konstruktive Umgang mit negativen Emotionen, ohne sich exzessiv dem Sport zuzuwenden. Nur durch eine Kombination aus psychotherapeutischer Unterstützung, körperlicher Erholung und sozialen Veränderungen kann langfristig eine gesunde Balance zwischen Sport und Alltag gefunden werden.
Fazit
Sportsucht ist eine ernstzunehmende Verhaltenssucht, die sowohl körperliche als auch psychische Folgen nach sich ziehen kann. Der Übergang von einem gesunden Sportverhalten zur Abhängigkeit verläuft oft schleichend, sodass Betroffene die Kontrolle über ihr Training allmählich verlieren. Dies kann zu erheblichen Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen und persönlichen Bereich führen. Da Sportsucht ein schrittweiser Prozess ist, bieten frühe Warnsignale die Möglichkeit, rechtzeitig einzugreifen und die Balance zwischen einem gesunden Lebensstil und zwanghaftem Verhalten zu bewahren.
Das Phänomen Sportsucht ist in der Wissenschaft umstritten, insbesondere die sekundäre Sportsucht, da sie häufig als Symptom einer anderen psychischen Erkrankung betrachtet wird. Die primäre Sportsucht hingegen tritt nur selten auf und ist bislang wenig erforscht. Ein zentrales Problem ist die uneinheitliche Symptomatik. Es gibt keine festen Diagnosekriterien, sodass eine individuelle Betrachtung jedes Falls notwendig ist. Umso wichtiger ist es, das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen und Betroffenen frühzeitig Unterstützung zu bieten.
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