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Kognitive Verzerrungen - Warum unser Denken nicht immer logisch ist



Denkst du, dass du ein rationaler Mensch bist, der Entscheidungen logisch und objektiv trifft? Dann muss ich dich leider enttäuschen. Dein Gehirn trickst dich regelmäßig aus und du bist dir dessen vermutlich nicht bewusst. Kognitive Verzerrungen beeinflussen deine Wahrnehmung, dein Urteilsvermögen und sogar dein Selbstbild. Doch keine Sorge, du bist damit nicht allein. Jeder Mensch ist betroffen.


 

Was sind kognitive Verzerrungen?

Unser Gehirn verarbeitet tagtäglich riesige Mengen an Informationen. Um diese Flut zu bewältigen, nutzt das Gehirn mentale Abkürzungen, sogenannte Heuristiken. Sie sind Strategien, die uns helfen, schnell Entscheidungen zu treffen. Sie sparen Zeit und Energie. In den meisten Fällen sind sie äußerst nützlich, doch manchmal geht etwas schief bei der Anwendung. Kognitive Verzerrungen entstehen häufig durch die Anwendung von Heuristiken in unpassenden Situationen oder durch andere Faktoren wie Emotionen, soziale Einflüsse oder auch neuronale Mechanismen. Kognitive Verzerrungen sind systematische, unterbewusste Fehler in der Informationsverarbeitung, die Wahrnehmung, Erinnerungen, Urteile und Denkprozesse verzerren. Es gibt Hunderte von kognitiven Verzerrungen und jeder Mensch ist ihnen erlegen, denn sie sind ein normaler Bestandteil des Denkens. In manchen Situationen kommt es so zu Fehlurteilen oder ungerechten Vorurteilen.


Bekannte kognitive Verzerrungen

Bestätigungstendenz

Wir neigen dazu, Informationen zu suchen und zu bevorzugen, die unsere bestehenden Meinungen bestätigen, während wir gegensätzliche Informationen ignorieren. Das kann dazu führen, dass wir in unserer Meinung feststecken, selbst wenn es starke Gegenargumente gibt. Allerdings dient dieser Mechanismus auch dem Selbstschutz, indem er verhindert, dass unser Selbstbild und unsere Werte ständig durch abweichende Informationen angegriffen werden.


Optimismus-Verzerrung

Wir neigen dazu, die Wahrscheinlichkeit positiver Ereignisse zu überschätzen und die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse zu unterschätzen. Das erklärt, warum Menschen Risiken unterschätzen, wie etwa beim Rauchen oder Autofahren.


Fundamentaler Attributionsfehler

Wir neigen dazu, unerwünschtes Verhalten oder Misserfolg anderer Menschen auf deren Persönlichkeit zurückzuführen, während wir unser eigenes schlechtes Verhalten und unsere eigenen Misserfolge eher mit den Umständen erklären. Ist ein fremder Mann an der Kasse im Supermarkt beispielsweise sehr unfreundlich, denken wir uns, was für ein mürrischer Mann. Dabei beachten wir nicht, dass er vielleicht einfach einen schlechten Tag hatte oder es eilig hat. Verhalten wir uns selbst jedoch unfreundlich, schieben wir es eher darauf, dass ein stressiger Tag hinter uns liegt und wir einfach schnell nach Hause wollen.


Halo-Effekt

Ein einzelnes Merkmal einer Person beeinflusst unsere gesamte Einschätzung dieser Person, dabei lassen wir andere eventuell wichtige Merkmale außer Acht. Beispielsweise werden attraktive Menschen oft als kompetenter oder freundlicher wahrgenommen, unabhängig von ihren tatsächlichen Fähigkeiten.


Ingroup- und Outgroup-Bias

Wir bewerten Menschen aus unserer eigenen Gruppe (Ingroup) positiver als Menschen aus anderen Gruppen (Outgroup). Das kann Vorurteile und Stereotype verstärken. Ein Beispiel sind Fußballfans, die glauben, dass ihr Team fair spielt, während die Gegner ständig foulen, obwohl beide Teams objektiv gesehen gleich spielen.


Verfügbarkeitsheuristik

 Wir beurteilen oder schätzen Wahrscheinlichkeiten auf Basis von persönlichen Erfahrungen, da diese leicht verfügbar sind, anstatt objektive Wahrscheinlichkeiten oder andere relevante Informationen einzubeziehen.  So überschätzt eine Person beispielsweise ihr eigenes Risiko, einen Gehirntumor zu bekommen, da sie erst letzte Woche erfahren hat, dass ihre Nachbarin daran erkrankt ist.


Repräsentativitätsheuristik

Wir beurteilen Menschen oder Situationen nach typischen Merkmalen oder Stereotypen. Zum Beispiel wird ein Mann im Anzug und mit Aktenkoffer automatisch als erfolgreicher Geschäftsmann wahrgenommen, obwohl er genauso gut ein Berufseinsteiger oder ein Praktikant sein könnte.


Kognitive Verzerrungen und psychische Gesundheit

Kognitive Verzerrungen spielen auch eine Rolle bei vielen psychischen Erkrankungen, da sie die Art und Weise beeinflussen, wie Betroffene die Welt wahrnehmen, Gedanken verarbeiten und Urteile fällen. Diese Verzerrungen verstärken oft negative Denkmuster und tragen dazu bei, dass sich psychische Probleme entwickeln oder verschlimmern. Sie beeinflussen das emotionale Wohlbefinden, die Wahrnehmung von Stress und die Fähigkeit, mit Herausforderungen umzugehen. Schauen wir uns die Rolle von kognitiven Verzerrungen anhand zweier psychischer Erkrankungen genauer an.


Bei der Depression wirken kognitive Verzerrungen so, dass negative Gedanken und Gefühle übermäßig verstärkt werden, was die depressive Stimmung weiter anheizt. Betroffene neigen dazu, sich selbst, die Welt und die Zukunft negativ zu bewerten. Diese Verzerrungen führen zu einem tiefen Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Wertlosigkeit. Außerdem neigen sie dazu, oft nach Informationen zu suchen, die ihre negativen Überzeugungen bestätigen. Sie tendieren dazu, Fehler oder Misserfolge als Beweis für ihre Unzulänglichkeit zu sehen und ignorieren Erfolge oder positive Rückmeldungen. In diesem Falle hat die Bestätigungstendenz keinen Selbstwertschutz, sondern schadet diesem eher.


Manie tritt typischerweise im Rahmen einer bipolaren Störung auf und ist durch einen übersteigerten Antrieb, Euphorie, impulsives Verhalten und eine verzerrte Wahrnehmung von Risiken gekennzeichnet. In dieser Phase sind Betroffene besonders anfällig für kognitive Verzerrungen, die ihre Entscheidungen beeinflussen. Eine typische kognitive Verzerrung bei Manie ist oft ein übermäßiger Optimismus (Optimismus-Verzerrung). Betroffene unterschätzen Risiken und überschätzen ihre Fähigkeiten. Sie glauben oft, dass sie erfolgreich, unbesiegbar oder zu außergewöhnlichen Leistungen fähig sind, selbst wenn es keine objektive Grundlage dafür gibt. Dabei minimieren sie die negativen Konsequenzen ihres Handels. Zudem wird impulsives Handeln auch durch die Verfügbarkeitsheuristik bestärkt. Manische Personen treffen Entscheidungen oft auf Grundlage von kürzlich gesehenen oder leicht abrufbaren Informationen, anstatt eine langfristige Perspektive einzunehmen.


Das Verständnis dieser Verzerrungen ist entscheidend für die Therapie von psychischen Erkrankungen, da es den Betroffenen hilft, ihre Denkmuster zu erkennen und zu hinterfragen. In vielen Therapieansätzen, wie der kognitiven Verhaltenstherapie, geht es darum, diese Verzerrungen zu identifizieren und zu korrigieren, um eine realistischere und gesündere Wahrnehmung der Welt zu fördern.


Wie kannst du kognitive Verzerrungen erkennen und reduzieren?

Da kognitive Verzerrungen tief in unseren Denkprozessen verwurzelt sind, lassen sie sich nicht komplett verhindern, es gibt aber Strategien, um sie zu reduzieren:


  1. Bewusstmachung: Erkenne, dass kognitive Verzerrungen existieren und wie sie deine Wahrnehmung beeinflussen, das ist der erste Schritt zur Veränderung.

  2. Perspektivwechsel: Versuche, eine Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, das kann helfen, voreingenommene Urteile zu hinterfragen.

  3. Kritisches Denken: Hinterfrage deine Annahmen und suche nach gegensätzlichen Meinungen, so kannst du zu objektiveren Einschätzungen gelangen.

  4. Entscheidungsprozesse verlangsamen: Lass dir Zeit, um über eine Entscheidung nachzudenken, statt impulsiv zu handeln. Gründliches Analysieren reduziert die Wahrscheinlichkeit von Verzerrungen.


Fazit

Kognitive Verzerrungen sind unvermeidlich, aber nicht zwangsläufig schlecht. Sie helfen uns, den Alltag zu bewältigen, dabei können sie uns aber auch in die Irre führen. Doch wer sie erkennt, kann bewusstere Entscheidungen treffen und Missverständnisse vermeiden. Egal ob in Beziehungen, im Beruf oder bei gesellschaftlichen Themen, ein reflektierter Umgang mit unseren Denkfehlern hilft uns, fairer und objektiver zu handeln und die Handlungen anderer besser zu verstehen.


Quellen

Aue, T. & Okon-Singer, H. (2020). Cognitive Biases in Health and Psychiatric Disorders: Neurophysiological Foundations. (1. Aufl.) Academic Press an imprint of Elsevier.

Todd, P. M. & Gigerenzer, G. (2000). Précis of Simple heuristics that make us smart. Behavioral And Brain Sciences, 23(5), 727–741. https://doi.org/10.1017/s0140525x00003447

Tversky, A. & Kahneman, D. (1974). Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases. Science, 185(4157), 1124–1131. https://doi.org/10.1126/science.185.4157.1124

Weber, S. & Knorr, E. (2019). Kognitive Verzerrungen und die Irrationalität des Denkens. In Springer eBooks (S. 103–115). https://doi.org/10.1007/978-3-662-58695-2_10

Jonas, K., Stroebe, W. & Hewstone, M. (2014). Sozialpsychologie. (6. Aufl.) Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-41091-8

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/gesund-licht-fashion-mode-6491501/

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