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Helfen, ohne zu schaden – die Rolle von Angehörigen bei chronischen Schmerzen

  • Diana
  • 29. Okt.
  • 7 Min. Lesezeit

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Chronische Schmerzen betreffen nicht nur die Menschen, die sie Tag für Tag ertragen müssen – sie werfen auch weite Schatten auf ihr Umfeld. Partner:innen, Familienmitglieder und Freund:innen stehen plötzlich vor einer großen Herausforderung: Sie wollen unterstützen, trösten und entlasten, haben dabei aber oft die Sorge, etwas falsch zu machen.

Wenn ein geliebter Mensch leidet, ist der Impuls klar: Man möchte sofort helfen. Doch genau hier beginnt die innere Zerrissenheit vieler Angehöriger. Einerseits ist da der starke Wunsch, die Situation leichter zu machen und irgendwie Hoffnung zu schenken. Andererseits nagt die Unsicherheit: Was hilft wirklich – und wo könnte gut gemeinte Unterstützung vielleicht sogar das Gegenteil bewirken?


Es steht aber fest: Angehörige spielen eine entscheidende Rolle. Sie können Halt geben, Mut machen und den Alltag gemeinsam lebbarer gestalten. Gleichzeitig brauchen aber auch sie Orientierung – denn Unterstützung bedeutet nicht, den Schmerz in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Wege zu finden, wie Nähe, Verständnis und kleine gemeinsame Schritte mehr Lebensqualität schaffen können.



Zwischen Mitgefühl und Überforderung

Angehörige von Menschen mit chronischen Schmerzen geraten oft selbst in eine Art Dauerstress. Auf der einen Seite steht der Wunsch, da zu sein und zu entlasten. Auf der anderen Seite taucht schnell das Gefühl auf, nicht genug tun zu können – oder immer wieder das Falsche zu machen. Dieses Spannungsfeld bringt eine ganze Palette an Belastungen mit sich.

 

Viele erleben eine tiefe Hilflosigkeit: Wie soll man reagieren, wenn weder Medikamente noch gute Ratschläge den Schmerz verschwinden lassen? Hinzu kommen nicht selten Schuldgefühle – etwa weil man ungeduldig wird oder sich auch mal eine Auszeit wünscht. Andere geraten in Überforderung, wenn sich der Alltag zunehmend um den Schmerz dreht, Termine abgesagt werden müssen oder jede Aktivität von der Frage abhängt: „Geht das heute überhaupt?“ Typisch ist auch, dass eigene Bedürfnisse auf der Strecke bleiben. Hobbys, Freundschaften oder kleine Pausen werden hintenangestellt, weil der Schmerz des anderen im Fokus stehen muss. Manche Angehörige ziehen sich sogar vollständig zurück – sei es aus Erschöpfung oder weil sie das Gefühl haben, niemand könne ihre Situation wirklich verstehen. Und nicht zuletzt können auch Spannungen und Konflikte entstehen: zwischen Nähe und Distanz, zwischen Fürsorge und dem Wunsch nach einem Stück Normalität.

 

All das zeigt: Angehörige sind keine stillen Begleiter im Hintergrund, sondern stehen mitten im Geschehen. Gerade deshalb braucht es Formen der Unterstützung, die beiden Seiten guttun: Hilfe, die stärkt und den Betroffenen nicht unbewusst belastet – und bei der, der Angehörige seine eigene Gesundheit und Lebensfreude nicht aufs Spiel setzen muss.


Wenn Hilfe unbewusst schadet

Leider führt gut gemeinte Unterstützung nicht immer zu positiven Effekten. Ohne es selbst zu merken, geraten Angehörige oftmals in typische Fallen, die negative Auswirkungen auf den Heilungsprozess des Betroffenen haben können.


Typische “Fallen” bei der Unterstützung von Betroffenen

Vermeidungsverhalten

Man möchte den Schmerz „schützen“ und versucht deshalb, bestimmte Aktivitäten zu vermeiden oder einzuschränken. Natürlich möchte niemand, dass sich die Betroffenen überanstrengen und dadurch ihre Schmerzen verschlimmern. Das Problem dabei ist jedoch, dass solche Einschränkungen oft langfristig mehr schaden als nützen. Indem alltägliche Aktivitäten gemieden werden, wird die betroffene Person in ihrer Bewegungsfreiheit und Selbstständigkeit eingeschränkt - was langfristig auch die Lebensqualität mindert. Statt gemeinsam spazieren zu gehen, sagt man dann aus Sorge: „Heute lieber nicht, du könntest dich überanstrengen.“ Daraus kann sich jedoch ein negativer Kreislauf entwickeln: Weniger Aktivität → weniger Selbstvertrauen → verstärkte Schmerzwahrnehmung.

 

Bagatellisierung

Angehörige meinen es oft gut: Aussagen wie „Das wird schon wieder“, “Du schaffst das schon” oder „Ach, ist bestimmt nicht so schlimm“ sollen Mut machen oder motivieren, die Situation positiv zu sehen. Jedoch können solche Formulierungen leicht die Gefühle des Betroffenen entwerten. Wer ständig hört, dass die Schmerzen „nicht so schlimm“ seien, fühlt sich schnell nicht ernst genommen. Dies kann als fehlende Empathie wahrgenommen werden und die emotionale Distanz zwischen Betroffenem und Angehörigem vergrößern. Bagatellisierung kann somit unbewusst das Vertrauen in die eigene Umgebung beeinträchtigen und dazu führen, dass der Betroffene sich zurückzieht oder weniger offen über seine Schmerzen spricht.

 

Übermäßige Fürsorge

Angehörige übernehmen alle Aufgaben, erledigen alles für die betroffene Person oder sorgen ständig dafür, dass sie geschont bleibt. Die Absicht dahinter ist vollkommen verständlich: Man möchte helfen und den Alltag erleichtern. Doch genau hier liegt die Herausforderung. Wenn ständig für den Betroffenen gehandelt wird, richtet sich der Fokus unbewusst immer stärker auf den Schmerz. Die Person hat weniger Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden, eigene Entscheidungen zu treffen oder kleine Herausforderungen zu meistern. Das kann das Schmerzverhalten unbeabsichtigt aufrechterhalten und die Symptomatik sogar verstärken. Gleichzeitig wird die Selbstwirksamkeit – also das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen – untergraben. Wer immer alles abgenommen bekommt, entwickelt leichter das Gefühl, auf andere angewiesen zu sein und nichts selbst bewältigen zu können.

 

Überfokussierung auf den Schmerz

Wenn Gespräche, Aktivitäten oder Entscheidungen fast ausschließlich um den Schmerz kreisen, bestimmt dieser schnell das gesamte Leben. Der Betroffene wird ständig daran erinnert, dass er Schmerzen hat und bekommt kaum noch Gelegenheit, positive oder schmerzfreie Momente zu erleben. Das kann die Schmerzwahrnehmung zusätzlich intensivieren.

 

Übertragung eigener Ängste/SorgenVerständlicherweise macht man sich Sorgen um die betroffene Person – manchmal projiziert man dabei aber seine eigenen Ängste auf sie. Aussagen wie „Wenn du das machst, passiert bestimmt etwas Schlimmes“ sollen schützen, können aber zusätzlichen Druck erzeugen. Der Betroffene bekommt das Gefühl, keine eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen und fühlt sich dadurch noch mehr eingeschränkt, als dieser es ohnehin schon ist.


Hilfe bedeutet deshalb nicht, jede Aufgabe zu übernehmen oder Schmerzen um jeden Preis vermeiden zu wollen. Vielmehr geht es darum, ein Gleichgewicht zu finden: den Betroffenen unterstützen, ohne ihn oder sich selbst zu belasten und Freiräume zu lassen, in denen Selbstwirksamkeit und Alltagserfahrung erhalten bleiben.


Richtig unterstützen - Wege zu mehr Selbstständigkeit und Wohlbefinden

Glücklicherweise gibt es auch konkrete Möglichkeiten, wie Angehörige aktiv und sinnvoll unterstützen können – ohne die Selbstständigkeit der Betroffenen zu untergraben oder den Alltag von beiden unnötig zu belasten.


Verständnis und emotionale Zuwendung

Manchmal reicht es schon, einfach da zu sein und wirklich zuzuhören. Ein offenes Ohr, Empathie und die Bereitschaft, die Gefühle des Betroffenen ernst zu nehmen, sind das Herzstück jeder Unterstützung. Wichtig ist, nicht zu bagatellisieren und keine Ratschläge aufzudrängen, sondern wirklich hinzuhören. Schon allein die Frage „Wie geht es dir gerade?“ und das aktive Zuhören können einen großen Unterschied machen. Für den Betroffenen kann dies den Schmerz weniger belastend erscheinen lassen und den emotionalen Stress merklich reduzieren – weil er spürt, dass seine Gefühle gesehen und ernst genommen werden.

 

Förderung von Aktivität und Selbstständigkeit

Helfen - ohne alles abzunehmen. Angehörige können den Betroffenen unterstützen, aktiv zu bleiben und eigene Entscheidungen zu treffen. Auf diese Weise wird die Selbstwirksamkeit bestärkt. Ein gutes Beispiel ist ein gemeinsamer Spaziergang oder die Begleitung bei alltäglichen Aufgaben, ohne diese vollständig zu übernehmen. So hat der Betroffene die Möglichkeit, seine Fähigkeiten einzusetzen, kleine Erfolge zu erleben und gleichzeitig das eigene Schmerzmanagement zu üben.

 

Realistische Zielsetzung und kleine ErfolgeGroße Erwartungen an den Alltag oder an bestimmte Aktivitäten können einen leicht unter Druck setzen und Frustration auslösen – sowohl beim Betroffenen als auch bei den Angehörigen. Deshalb ist es sinnvoll, kleine, erreichbare Ziele zu setzen, die motivieren und Erfolgserlebnisse ermöglichen. So kann der Alltag Schritt für Schritt gemeistert werden, ohne dass das Gefühl von Überforderung entsteht. Statt zu sagen „Heute gehen wir drei Kilometer spazieren“, könnte man ein kleineres Ziel wie „10 Minuten an der frischen Luft“ festlegen.

 

Förderung positiver Erlebnisse und Ablenkung

Aktivitäten, die Freude bereiten und nicht ausschließlich auf den Schmerz fokussiert sind, können die Stimmung verbessern und den Schmerz weniger dominant halten. Positive Erlebnisse stärken das Wohlbefinden, fördern soziale Bindungen und können sogar die Wahrnehmung der Schmerzen verringern. Gemeinsame Hobbys ausprobieren, zusammen kochen, Musik hören oder einen Filmabend genießen – solche Momente bringen Freude, lenken ab und erinnern daran, dass das Leben trotz Schmerz lebenswert ist.

 

Geduld und Akzeptanz

Chronische Schmerzen verlaufen selten linear – es gibt gute und schlechte Tage. Angehörige sollten Rückschläge akzeptieren, Frustration vermeiden und die betroffene Person nicht drängen. Wenn ein geplanter Spaziergang heute nicht möglich ist, bedeutet das nicht „Versagen“. Zeige Verständnis dafür, dass es in Ordnung ist, mal einen Schritt zurückzutreten und dass jeder Tag anders sein kann.

 

Eigene Grenzen achten

Unterstützung kann nur nachhaltig sein, wenn Angehörige auch auf sich selbst achten. Eigene Ressourcen sollten gepflegt werden – durch Selbstfürsorge, Pausen, Austausch mit anderen Angehörigen oder Teilnahme an Angehörigengruppen. Wer auf sich achtet, ist langfristig in der Lage, stabil und wirkungsvoll zu unterstützen, ohne selbst auszubrennen.


Fazit: Die Kunst der Balance

Die Rolle von Angehörigen im Umgang mit chronischen Schmerzen ist ein Balanceakt: Es braucht Empathie, Verständnis und Zuwendung – aber ebenso die Förderung von Eigenaktivität, Selbstständigkeit und kleinen Erfolgserlebnissen. Wer unterstützt, ohne zu bevormunden, schenkt nicht nur Nähe und Sicherheit, sondern stärkt auch die Selbstwirksamkeit des Betroffenen.


So entsteht ein Miteinander, das beide Seiten trägt: Die betroffene Person fühlt sich verstanden und gleichzeitig ermutigt, den Alltag aktiv mitzugestalten. Angehörige wiederum können helfen, ohne sich selbst dabei zu überfordern. Die Kunst liegt darin, Hilfe so zu gestalten, dass sie sowohl Herz als auch Handlungskraft stärkt.



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Bildquelle: Hände Zusammen Gemeinschaft - Kostenloses Foto auf Pixabay
 

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