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Wie die Angst, zu verpassen, unsere Entscheidungen manipuliert

Teil 1




FOMO = Fear of Missing Out





Wahrscheinlich hast Du schon einmal von diesem Begriff gehört. Er beschreibt die ständige Sorge, ein soziales Ereignis zu verpassen oder eine schlechte Entscheidung zu treffen und dadurch eine bessere Alternative liegen zu lassen [1].


Aber warum ist das überhaupt ein Problem?

56 Prozent derjenigen, die soziale Medien nutzen, haben schon einmal FOMO erlebt [2]. Besonders auf Facebook, aber auch auf Instagram, Twitter und Co finden sich Menschen, die von Beiträgen zu Reisen, besonderen Erlebnissen wie Partys und Veranstaltungen oder durch bezaubernde Essensfotos zu Neid und Enttäuschung mit dem eigenen Leben getrieben werden.

Zu den möglichen Symptomen von FOMO zählen vermehrte depressive Erscheinungen, verringerte Achtsamkeit, innere Unruhe und weitere psychosomatische Beschwerden [3].

Das Bild einer von FOMO betroffenen Person erinnert an eine von Leistungsdruck und sozialem Vergleich getriebene junge Person.


Ein Beispiel:

Lindo (18), Abiturient.

Anders als seine Freunde, weiß er noch nicht, was er nach seinem Abschluss machen soll – eine Ausbildung, Studieren oder doch lieber ein FSJ? Er könnte sich vorstellen, in eine Unistadt am Meer zu ziehen, aber die ist sehr teuer. Reisen würde er auch gerne, aber er hat nicht viel Geld und kein klares Ziel vor Augen. Seine Eltern sagen, er sollte lieber sparen und einen sicheren Berufsweg einschlagen.

Er fragt sich, ob seine Altersgenossen eine ähnliche Unsicherheit verspüren, und begibt sich in soziale Netzwerke. Dort schaut sich Lindo gerne Beiträge von Entrepreneuren in Designerklamotten und Fotos von den Reisen seiner Freunde an. Wenn er sieht, dass sie ohne ihn Spaß haben, macht ihn das nervös.

Kürzlich hat einer seiner Bekannten über mehrere Ecken einen gut bezahlten Job bekommen, sodass er noch vor seiner Ausbildung ein Jahr durch die Welt touren kann. Zudem ist der Freund nach Bali geflogen, trotz Corona. Dort hat er viele neue Leute kennengelernt, ständig schlemmen sie in überteuerter Badekleidung am Strand kunterbuntes Essen.

Wenn Lindo sich das anschaut, wird er unruhig und hat Probleme, sich auf die Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz zu konzentrieren. Stattdessen überlegt er, wie er schnellstmöglich Geld verdienen kann, um die Top 10 atemberaubenden Urlaubsziele der Welt besichtigen und den neuesten Fashion-Trends folgen zu können. Sonst werden seine Freunde ihn noch mehr abhängen und mit 20 glücklich auf einer Segelyacht chillen, während Lindo mit 30 immer noch nicht so richtig weiß, was er mit seinem Leben eigentlich anfangen soll.


Diese Vorstellung passt gut auf das 21. Jahrhundert und es steckt ein wahrer Kern dahinter. Allerdings gibt es einige Aspekte, die ergänzt werden müssen:

  1. FOMO tritt in verschiedenen Altersgruppen auf [2]. Zwar betrifft FOMO mit 55% der 15-18jährigen und 69% der 23-38jährigen Social Media Nutzer*innen am häufigsten junge Menschen, doch auch ältere Gruppen sind nicht vor ihr gefeit. Sogar Spekulierende an der Börse können in eine Angstschleife geraten, wenn es darum geht, bei einer wichtigen Aktie nicht dabei zu sein.

  2. Die Nutzung von sozialen Medien kann verstärkend auf FOMO wirken. Sie ist jedoch kein alleiniger Auslöser, sondern Teil eines Kreislaufs [5]. Dieser sieht folgendermaßen aus:

  3. Ein Mensch mit mangelndem Selbstbewusstsein, niedrigem Selbstwert und/oder Gefühlen der Einsamkeit [4] hat eine erhöhte psychologische Vulnerabilität (= psychische Anfälligkeit).

  4. Wenn solch eine Person damit konfrontiert wird, was andere Großartiges erleben, kann das zur Unzufriedenheit mit und Distanzierung vom eigenen Leben führen.

  5. Die Person geht auf Social Media, um Trost und Bestätigung zu finden.

  6. Dort begegnet sie wieder tausenden Alternativen der Lebensführung, trendigen Produkten und begehrenswerten Ereignissen. Es kommt zum sozialen Vergleich [5], der Eifersucht und Betrübtheit auslösen kann.

  7. Die FOMO schlägt zu.

In diesem Kreislauf spielen zudem zwei weitere psychologische Phänomene eine Rolle, deren Mechanismen in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlichen Kontexten erforscht wurden...


Loss Aversion Bias

Übersetzt man den Begriff etwas umständlich ins Deutsche, kommt man seiner Bedeutung näher. Die „Verlustvermeidungsverzerrung“ meint, dass Menschen Entscheidungen getrieben durch ihre Angst vor Verlusten treffen, statt sich an persönlichen Werten oder objektiven Fakten zu orientieren. Zudem werden Mängel stärker gewichtet als Gewinne [6]. Wer Angst hat, ihm/ihr könnte etwas entgehen, gerät in Stress [5]. Es folgt die Suche nach der perfekten Handlungsalternative mit dem besten Verhältnis von Ausgaben zu Einnahmen – sowohl auf finanzieller [2] als auch persönlicher Ebene (z.B. Erhöhung des Selbstwertgefühls durch soziale Teilhabe auf Kosten emotionaler Ressourcen).


Paradox of Choice

Beim “Auswahlparadoxon” kommt wieder das digitale Zeitalter mit seinem Bombardement an Anzeigen, Versprechen und Angeboten ins Spiel. Genauso, wie zu wenig Handlungsspielraum unglücklich macht, lähmt es, zu viele Optionen zur Verfügung gestellt zu bekommen [7].

Heutzutage ist das oft der Fall, wie dieses Beispiel verdeutlicht:

Maja (26), Studentin.

Welches Deo soll Maja kaufen? Einen Antitranspiranten, der das Schwitzen dank Aluminiumsalzen ganz unterbindet oder ein Deo ohne Aluminium, weil das gesünder sein soll? Möchte sie lieber nach Zitrone, Granatapfel oder Zedernholz riechen? Oder besser nach gar nichts, weil Duftstoffe zu Hautunverträglichkeiten führen können? Nimmt sie eine Creme, ein Roll-On oder ein Sprühdeo? Welche Marke ist besonders ökologisch und ethisch vertretbar?

Schon für vermeintlich einfache Alltagsentscheidungen gibt es zahllose Informationen und Angebote für alles, was man sich wünscht (oder auch nicht). Wenn es um größere Themen, wie die Wahl eines Studienfachs, eines Wohnortes oder die etwaige Familiengründung geht, kann die FOMO umso leichter Fuß fassen. Es geht plötzlich nicht mehr nur darum, die abgelehnten Handlungsalternativen zu versäumen, sondern auch, wichtige Informationen zu übersehen, die bei der Entscheidung in Betracht gezogen werden sollten.



Wir haben also Probleme, uns zu entscheiden und unser eigenes Ding zu machen. So weit so schlecht. Wie können wir diese Situation lösen? Mehr dazu erfährst Du im nächsten Artikel! Wenn Du selbst Erfahrungen mit der Fear of Missing Out hast, teile sie gerne in einem Kommentar oder erzähle uns davon auf Instagram



Quellen


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