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Nudging - Der Stups in die richtige Richtung


Nudging (Englisch für “stupsen”) bezeichnet das Beeinflussen von Verhaltensweisen, ohne auf Verbote oder Gebote zurückzugreifen. Seine Grundlage bilden Heuristiken und Bias aus der Verhaltensökonomie.


Was sind Heuristiken?

Das menschliche Gehirn operiert innerhalb begrenzter kognitiver Grenzen und folgt somit nicht ständig den Regeln einer idealen, rationalen Entscheidungsfindung. An dieser Stelle kommen Heuristiken ins Spiel – sie sind praktische Faustregeln oder Denkabkürzungen, die in Entscheidungsprozessen angewendet werden. Sie dienen dazu, das Leben in einer Welt zu vereinfachen, die von fortwährendem Informationsfluss und hoher Geschwindigkeit geprägt ist. 


Diese Heuristiken ermöglichen es, alltägliche Herausforderungen funktional zu bewältigen und dabei den benötigten Arbeits- und Zeitaufwand in einem überschaubaren Rahmen zu halten. Ohne diese automatisierten Handlungsmuster, müsste der Mensch einen Großteil seiner Zeit darauf verwenden, sämtliche Handlungsoptionen detailliert zu analysieren und über verschiedene Aspekte von Personen, Situationen oder Ereignissen nachzudenken. Alltägliche Fragen und Probleme wie die Wahl des Mittagessens, des Orangensafts im Supermarkt oder der favorisierten Fußballmannschaft für eine Wette lassen sich im Alltag nicht mit aller verfügbaren Information oder der nötigen Zeit behandeln. Deshalb greift der Mensch auf mentale Abkürzungen zurück und erreicht sein Ziel näherungsweise mithilfe von Wahrscheinlichkeiten.



Klassische Denkfehler

Die Funktionsweise von Heuristiken kann zu Fehlern führen: Der regelmäßige Gebrauch führt insbesondere zu kognitiven Verzerrungen (Bias) bei Entscheidungsprozessen. Heuristiken streben nicht nach Perfektion und sind an sich weder irrational noch problematisch – in den meisten Fällen sind sie dem Menschen sogar hilfreich. Dennoch führen sie zu systematischen und vorhersehbaren Fehlern. Zusammengefasst erklärt dies einerseits, warum schnelle und angemessene Urteile gefällt werden können, andererseits aber auch, warum der Mensch mit seinen Entscheidungen gelegentlich daneben liegt. Der Einfluss von Heuristiken und ihre Bedeutung für die Bewältigung des Alltagslebens sind ziemlich groß. Dennoch tendieren Menschen generell dazu, die Rolle des unterbewussten Denkens zu unterschätzen. Gewöhnlich sind Menschen davon überzeugt, dass sie Entscheidungen rein rational und bewusst treffen, unter Berücksichtigung aller Handlungsalternativen. Bis heute wurden zahlreiche Heuristiken und Bias entdeckt.


Ein bekanntes Beispiel ist der Bestätigungsfehler (Confirmation Bias), der auftritt, wenn Individuen Informationen bevorzugen, die ihren eigenen Vorstellungen entsprechen, während sie andere ignorieren. Ein weiteres Beispiel ist die Verfügbarkeitsheuristik (Availability Heuristic), die besagt, dass leicht zugängliche Informationen in einem Beurteilungsprozess als dominanter wahrgenommen werden und daher ihre Eintretenswahrscheinlichkeit überschätzt wird. So fürchten sich Menschen eher vor einem Flugzeugabsturz, obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür statistisch gesehen niedriger ist als für einen Autounfall. Dies ist auf die erhöhte mediale Präsenz von Flugzeugabstürzen zurückzuführen, was die mentale Verfügbarkeit erhöht und zu einer Überschätzung der Häufigkeit führt.



Nudging

Eines der bekanntesten Konzepte zur Abmilderung der Auswirkungen von Heuristiken und Bias und zur positiven Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens ist das sogenannte Nudging. Im Kern beschreibt der Begriff Nudge einen sanften „Stupser“, der Menschen unterstützen soll, bessere Entscheidungen zu treffen. Als bessere Entscheidung gilt jene, welche bei vollständiger Verfügbarkeit von Informationen und ohne zahlreiche kognitive Verzerrungen gewählt werden würde. Nudges sollen die Wahlfreiheit nicht einschränken oder monetäre (materielle) Anreize schaffen, sondern durch gezielte Anreize das erwünschte Verhalten fördern. Ein häufiges Beispiel für Nudging ist die Gestaltung von Treppen neben Rolltreppen, begleitet von motivierenden Schildern, die die Vorteile des Treppensteigens betonen. Dies ermutigt mehr Menschen, die Treppe anstelle der Rolltreppe zu benutzen. Ein weiteres Beispiel ist die Opt-Out-Methode bei Organspenden: Wenn die Zustimmung zur Organspende als Standard festgelegt ist und Menschen aktiv dagegen entscheiden müssen, steigt die Zustimmungsrate.



Wie Nudging privat genutzt werden kann

Dieses Nudging-Konzept kann als „Self-Nudging“ für eigene Interessen genutzt werden. Hierbei handelt es sich um eine Form der Selbstregulierung, bei der Individuen den Nudge-Ansatz auf sich selbst anwenden, um ihr eigenes Verhalten bewusst zu lenken. Dies kann beispielsweise durch das Einrichten eigener Erinnerungen, die gezielte Anordnung von Lebensmitteln im Kühlschrank oder die Nutzung technologischer Hilfsmittel wie Apps geschehen, die förderliches Verhalten unterstützen. Die Stärke des Self-Nudging liegt in seiner Fähigkeit, Einzelpersonen zu befähigen, sich selbst zu helfen und dabei proaktiv kognitive Verzerrungen zu umgehen.


5 konkrete Beispiele, Nudges für sich selbst zu nutzen könnten in etwa sein:


  • Um morgens öfter joggen zu gehen, könntest du dir schon am Abend deine Laufschuhe direkt neben das Bett stellen. 

  • Wenn du mehr Obst essen möchtest, klebe einen Apfel-Sticker auf die Tür deines Kühlschranks. 

  • Um den Zigarettenkonsum zu reduzieren, bewahre deine Zigaretten an einem schwerer erreichbaren Ort auf – beispielsweise oben auf einem Schrank. 

  • Wenn du Sitzpausen während der Arbeit einhalten möchtest, stelle einen Timer, sobald du dich hinsetzt. 

  • Halte an einer gut sichtbaren Stelle eine Liste, um festzuhalten, wie viele Gläser Wasser du bereits heute getrunken hast.


Möchtest du eigene Nudges entwickeln, lohnt es sich zu überlegen, wie du unerwünschtes Verhalten erschweren und gleichzeitig erwünschtes Verhalten erleichtern kannst. Dabei geht es nicht darum, die "schlechtere" Entscheidung komplett zu verbieten, sondern deine Denkheuristiken zum Stups in die richtige Richtung zu nutzen.



Quellen

Angner, E. (2016). A Course in Behavioral Economics. Palgrave Macmillan.  


Cialdini, R. B. (2002). Die Psychologie des Überzeugens: Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen (2. Aufl.). Huber.  


Harff, C. & McLachlan, C. (2021). Corporate Nudging: Verhaltensmuster in Organisationen durch intelligente Anstupser verändern. Haufe.  


Nickerson, R. S. (1998). Confirmation Bias: A Ubiquitous Phenomenon in Many Guises. Review of General Psychology, 2(2), 175–220. https://doi.org/10.1037/1089-2680.2.2.175 


Reijula, S. & Hertwig, R. (2022). Self-nudging and the citizen choice architect. Behavioural Public Policy, 6(1), 119–149. https://doi.org/10.1017/bpp.2020.5 


Thaler, R. H. & Sunstein, C. R. (2009). Nudge: Improving decisions about health, wealth, and happiness. Penguin.  


Tversky, A & Kahneman, D (1974). Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases. Science (New York, N.Y.), 185(4157), 1124–1131. https://doi.org/10.1126/science.185.4157.1124 




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