Die Vernetzung und Digitalisierung der Arbeitswelt nehmen stetig zu. Diese bringen viele Möglichkeiten mit sich, so kann zum Beispiel Arbeit von zuhause die erlebte Autonomie erhöhen und damit Konflikte zwischen Arbeit und Familie reduzieren. Jedoch kann die ständige Erreichbarkeit heutzutage auch dazu führen, zuhause Probleme mit dem Abschalten von der Arbeit zu haben oder beim Arbeiten durch private Probleme abgelenkt zu sein. Zu solchen Problemen kann es zum Beispiel durch das Lesen von Arbeits-emails außerhalb der Arbeitszeit oder durch private Nachrichten während der Arbeitszeit kommen. Umgangssprachlich werden hier meistens Begriffe wie „Work-Life-Balance“ verwendet. In der Arbeits- Organisations- und Wirtschaftspsychologie werden diese und andere derartige Verhalten als Mikro-Rollenübergänge bezeichnet, da kurzzeitig von der einen Rolle in die andere gewechselt wird. Zu Mikroübergängen zählen zusätzlich auch Verhaltensweisen, die einen Übergang von der einen Domäne in die andere signalisieren, wie zum Beispiel die Arbeitskleidung abzulegen. Wie und ob diese Übergänge stattfinden, wird vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: Durch die Flexibilität und die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen den Lebensbereichen. Flexibilität beschreibt, wie veränderbar Dinge wie Arbeitsort- oder Zeit sind. Die Durchlässigkeit einer Grenze ist das Ausmaß, in dem man mental in einer Sphäre involviert ist, während man sich eigentlich physisch in der anderen befindet. Hohe Flexibilität und Durchlässigkeit der Grenzen wird als Integration der Lebensbereiche bezeichnet, niedrige Flexibilität und Durchlässigkeit als Segmentation. Je nach dem, ob man die Lebensbereiche stärker integriert oder segmentiert, ist der Rollenübergang unterschiedlich aufwändig. Es ist schließlich auch klar, dass der Übergang von der Arbeitsrolle in die Privatrolle beispielsweise für ein im Homeoffice arbeitendes Elternteil schneller geht als etwa für einen Arzt auf der Intensivstation. Die meisten von uns befinden sich allerdings nicht in den Extremen der Integration oder Segmentation, sondern irgendwo dazwischen. Ebenfalls muss die Integration nicht symmetrisch, also von beiden Lebensbereichen gegenseitig ineinander stattfinden, sondern kann durchaus auch nur einseitig sein. Die Strategien, Prinzipien und Handlungen, die zur Abgrenzung der Lebensbereiche genutzt werden, werden in der Forschungsliteratur dem Überbegriff Boundary Management zugeordnet. In der Forschung zu diesem konnten verschiedene Typen von Personen identifiziert werden, welche ihre Grenzen zwischen Privatleben und Arbeitsleben unterschiedlich setzen. Die meisten integrieren in mittlerem bis starken Ausmaß in beide Richtungen (sogenannte „Integrators“ & „Intermediate Group“) , während eine kleinere Gruppe dagegen sehr stark in beide Richtungen segmentiert („Separators“). Zusätzlich gibt es noch zwei weitere Gruppen, die zwar in einem Lebensbereich sich durch den anderen unterbrechen lassen, den anderen aber stark abtrennen („work guardians“ & „nonwork guardians“). Sie priorisieren also entweder sehr stark das Privatleben oder das Arbeitsleben.
Boundary Management als Resilienzressource?
Um sich in der Freizeit gut zu erholen, ist es nötig innerlich von der Arbeit loszulassen. Ist man in dieser Zeit allerdings mental immer noch sehr bei der Arbeit, kann das den Erholungsprozess stören. Die verschiedenen Boundary Management Profile haben hierzu unterschiedliche Assoziationen. Die Separierer und Nonwork-Guardians weisen die höchsten Werte bei „psychological Detachement from Work“ auf, während die Work Guardians und die Integrierer hier die niedrigsten Werte aufweisen. Die Work Guardians weisen noch niedrigere Werte auf als die Integrators, was damit erklärt wird, dass die Integrierer die bessere Balance zwischen ihren Rollen haben. In der endgültigen Erholung unterschieden sich die verschiedenen Profile interessanterweise nicht, außer dass Job-Guardians die höchste Job-Erschöpfung aufweisen. Insgesamt muss man sagen, dass es nicht die eine optimale Form von Boundary Management gibt und man stets im Blick behalten muss, was am besten für die jeweilige Person ist. So kann beispielsweise ein kleines Ausmaß an Arbeitsbezogener Smartphone-Nutzung am Abend sogar förderlich für das Abschalten sein, da es möglicherweise hilft, mit der Arbeit des Tages abzuschließen.
Boundary Management verbessern
Wie man die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben setzt und wie sich diese auswirken, hängt von einigen Faktoren ab. Individuell förderlich ist die Entwicklung eigener Strategien im Umgang mit den Grenzen zwischen den Lebensbereichen. Solche Strategien können beispielsweise sein, ab bestimmen Uhrzeiten und am Wochenende keine beruflichen Kommunikationstechnologien zu verwenden. Für den Urlaub gibt es z.B. im Microsoft-Outlook-Abwesenheitsassistenten die Möglichkeit, diesen so zu programmieren, Emails automatisch zu löschen, und den jeweiligen Absender darüber zu informieren. Dadurch kann sich im Urlaub erholt werden, ohne die Sorge nach diesem durch die einhergekommene Emailflut überwältigt zu werden. So etwas sollte selbstverständlich zunächst mit dem Arbeitgeber vereinbart werden. Aus Maßnahmen, die individuell getroffen werden können, sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass die Verantwortung auf die Individuellen Arbeiter abgedrückt werden kann, denn organisationale Faktoren haben große Einflüsse auf das Boundary Management. Es konnte unter anderem gezeigt werden, dass das Ausmaß an Kontrolle über die eigene Grenzsetzung bestimmt, ob Integration oder Segmentation hilfreich oder schädlich für die Balance zwischen den Lebensdomänen ist. Ebenso reduziert eine Übereinstimmung zwischen den eigenen Präferenzen für Grenzsetzung und dem im Unternehmen üblichen Grenzsetzungsverhalten Stress als auch die Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben. Das Umfeld im Unternehmen spielt also durchaus auch eine wichtige Rolle im individuellen Boundary Management.
Boundary Management von Eltern psychisch Erkrankter Kinder
Der Fokus in der Forschung zu Boundary Management liegt meistens darauf, wie das Arbeitsleben das Privatleben beeinträchtigt. Da dies heutzutage zunehmende Relevanz hat, ist dies auch gerechtfertigt. Dennoch kann durchaus auch das Privatleben in die Arbeit eindringen. So haben auch Eltern psychisch Erkrankter Kinder mit zusätzlichen Problemen am Arbeitsplatz zu kämpfen. Wenn Eltern bemerken, dass ihre Kinder Probleme haben, welche über die im jeweiligen Alter typischen hinausgehen, kann dies schnell zu einer Belastung werden. Zunächst lenken Sorgen vom Arbeiten ab, doch diese Ablenkung kann auch zu regelmäßigen Unterbrechungen übergehen, wenn Anrufe bei Ärzten oder Psychologen getätigt werden müssen oder man gemeinsam mit dem Kind zu Terminen bei diesen muss. Man ist möglicherweise darüber besorgt, Stigmatisiert zu werden oder als Elternteil in Frage gestellt zu werden. Mit der immer noch gering verbreiteten Aufklärung über psychische Gesundheit ist das auch nachvollziehbar. Um für das eigene Kind verfügbar sein zu können kann es aber zum Beispiel dringend nötig sein, flexiblere Arbeitszeiten zu haben. Diese sorgen bei Eltern mit viel Familienverantwortlichkeiten nachweislich für niedrigere Stresslevel als auch für geringeren Arbeit-Familien Konflikt. Da Arbeitgeber stark variieren, gibt es natürlich nicht den einen optimalen Weg zu kommunizieren. Es ist allerdings sehr hilfreich, über sogenannte organisationale Kommunikationskompetenz zu verfügen. Diese umfasst, die eigenen Ziele zu erreichen, indem man auf eine Art kommuniziert, die als angemessen und effektiv wahrgenommen wird. Sie involviert Wissen über die Organisation, Kommunikationsfähigkeit, Qualifiziertheit und Motivation in der Organisation Leistung zu erbringen. Im Organisationalen Kontext ist es besonders relevant, dem Kontext nach angemessen zu kommunizieren. Es ist vor allem wichtig, klar zu kommunizieren, was man braucht, als auch nur so viel wie nötig, um das eigene Ziel zu erreichen, möglichst ohne negative Nebenkonsequenzen. Doch auch hier sollte die volle Verantwortung nicht bei den Eltern liegen, es ist wichtig, dass Arbeitgeber in Zukunft besser über psychische Gesundheit aufgeklärt sind, um mehr Verständnis für die Situation der Eltern zu haben.
Genau wie die moderne Arbeitswelt, die sie erforscht, ist die Forschung zu Boundary Management noch Jung. Während noch nicht klar ist, welches Ausmaß an Grenzsetzung für wen am besten ist, gibt es bereits Interventionsstudien, die positive Auswirkungen durch das Erlernen von Boundary Management zeigen konnten. Es lohnt sich also die Frage zu stellen, ob die eigene Grenzsetzung dem entspricht, was man braucht.
Quellen
https://www.pexels.com/de-de/foto/mann-sitzt-vor-dem-computer-380769/
Glaser, J., & Palm, E. (o. J.). Flexible und entgrenzte Arbeit – Segen oder Fluch für die psychische Gesundheit?
Kinnunen, U., Rantanen, J., de Bloom, J., Mauno, S., Feldt, T., & Korpela, K. (2016). The role of work–nonwork boundary management in work stress recovery. International Journal of Stress Management, 23(2), 99–123. https://doi.org/10.1037/a0039730
Park, Y., & Jex, S. M. (2011). Work-home boundary management using communication and information technology. International Journal of Stress Management, 18(2), 133–152. https://doi.org/10.1037/a0022759
Reinke, K., & Düvel, B. (2022). Always Online: Abschalten in einer mobilen Arbeitswelt. OSC Organisationsberatung - Supervision - Coaching, 29(3), 397–407. https://doi.org/10.1007/s11613-022-00770-7
Rexroth-Straßner, M. (2015). Abgrenzung der Lebensbereiche – Auswirkungen und Erlernbarkeit von Boundary Management [Dissertation]. https://doi.org/10.11588/heidok.00020070
Rosenzweig, J. M. (o. J.). Managing Communication at the Work-Life Boundary: Parents of Children and Youth with Mental Health Disorders and Human Resource Professionals.
댓글