Beziehungen und die Intimität und Unterstützung, die mit ihnen einhergeht, spielen eine sehr wichtige Rolle im Leben von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Beziehungen haben jedoch eine Vielzahl an Faktoren, die einen Einfluss auf ihre Qualität und die in ihnen empfundene Sicherheit haben. Seit den 1940er Jahren ist klar, dass einer dieser Faktoren die Bindungsstile sind, die unser Verhalten innerhalb von Beziehungen beeinflussen. Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen können oft von einem tieferen Verständnis der Bindungsarten profitieren sei es im Umgang in einer Eltern-Kind-Beziehung, einer romantischen, freundschaftlichen Beziehung oder im Umgang mit sich selbst und den eigenen Bindungsgewohnheiten.
Erklärung von Bindungsstilen:
Das Konzept der Bindungsstile wurde von John Bowlby mit der Hilfe von Mary Ainsworth Mitte des 20. Jahrhunderts erfunden. Die Theorie hat sich als eine der einflussreichsten psychologischen Erkenntnisse dieser Zeit herausgestellt.
Die Bindungsstile basieren auf unseren frühkindlichen Beziehungserfahrungen mit unseren Betreuungspersonen. Sie beeinflussen wie wir uns in Beziehungen verhalten und wie wir auf Bedürfnisse nach Nähe, Sicherheit und Autonomie reagieren. Generell lassen sich die Bindungsstile in 4 Kategorien einteilen.
Sicher: Menschen mit einem sicheren Bindungsstil haben oft positive und unterstützende Beziehungserfahrungen gemacht. Sie fühlen sich in ihren Beziehungen sicher und können sowohl Nähe als auch Unabhängigkeit genießen. Zum Beispiel könnte eine Person mit einem sicheren Bindungsstil in einer schwierigen Situation Vertrauen in die Unterstützung ihres Partners haben und gleichzeitig in der Lage sein, ihre eigenen Bedürfnisse auszudrücken.
Unsicher-vermeidend: Menschen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil haben möglicherweise gelernt, dass ihre Bedürfnisse nicht immer zuverlässig erfüllt werden. Sie könnten dazu neigen, ihre Emotionen zurückzuhalten und unabhängig zu bleiben, um sich vor potenziellen Verletzungen zu schützen. Zum Beispiel könnte eine Person mit diesem Bindungsstil dazu neigen, Konflikte zu vermeiden und sich zurückzuziehen, wenn sie das Gefühl hat, zu viel Nähe oder Abhängigkeit zu erleben.
Unsicher-ambivalent: Menschen mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil haben eventuell gemischte Erfahrungen mit Nähe und Abweisung gemacht. Sie sehnen sich oft nach engeren Beziehungen, sind aber gleichzeitig ängstlich und unsicher darüber, ob ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Beispielsweise könnte eine Person mit diesem Bindungsstil in einer Beziehung oft nach Bestätigung suchen und gleichzeitig Angst haben, dass sie nicht geliebt oder akzeptiert wird.
Desorganisiert: Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil haben oft traumatische oder inkonsistente Beziehungserfahrungen gemacht, die zu einem Gefühl der Verwirrung und Unsicherheit führen. Ihr Verhalten kann inkonsistent sein und zwischen Nähe und Distanz hin- und herwechseln. Zum Beispiel könnte jemand mit einem desorganisierten Bindungsstil dazu neigen, in Beziehungen zwischen übermäßiger Nähe und plötzlichem Rückzug zu schwanken.
Durch weiterführende Forschung hat sich ergeben, dass Menschen mit einem sicheren Bindungsstil bessere Emotionsregulation besitzen und mit Hilfe der Bindungspersonen schwierige Situationen besser bewältigen können. Menschen mit einem eher unsicher-ambivalenten Bindungsstil scheinen auch im Vergleich zu anderen Stilen überproportional häufig mit Angststörungen diagnostiziert zu werden.
Anwendung auf den Umgang mit psychisch erkrankten Personen:
Das Verständnis der Bindungsstile kann Angehörigen helfen, ihre Interaktionen mit psychisch erkrankten Menschen zu verbessern. Dies kann auf verschiedene Weisen passieren:
Durch das Erkennen des eigenen und des Bindungsstils der betroffenen Person können Angehörige besser verstehen, warum sie in bestimmten Situationen bestimmte Reaktionen zeigen. Diese Erkenntnis kann sehr entlastend wirken.
Angehörige können außerdem lernen, wie sie Unterstützung auf eine Weise bieten können, die den Bedürfnissen des/der Erkrankten entspricht. Zum Beispiel könnten sie auf die Bedürfnisse nach Nähe oder Unabhängigkeit eingehen, je nach dem Bindungsstil des Betroffenen. Eine Person mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil könnte in manchen Belastungssituationen eventuell mehr Nähe brauchen, während eine Person, die unsicher-vermeidend gebunden ist diese Nähe eher als weiteren Stressor wahrnehmen würde.
Es ist wichtig, dass Angehörige sich selbst und der psychisch erkrankten Person gegenüber geduldig und einfühlsam sind, während sie die Beziehungsdynamik basierend auf dem Wissen über Attachment Styles navigieren. Darüber hinaus kann professionelle Unterstützung und Beratung in Anspruch genommen und vorgeschlagen werden, um der betroffenen Person bestmöglich zu helfen.
Veränderbarkeit von Attachment Styles: Kann unsichere Bindung "geheilt" werden?
Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass besonders ein unsicherer Bindungsstil vermehrt zu Problemen innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen führen kann, ist es legitim sich die Frage zu stellen, ob man an der eigenen Bindungsunsicherheit arbeiten kann.
Forschungsergebnisse legen nahe, dass Attachment Styles im Laufe des Lebens tendenziell stabil bleiben, aber nicht unbedingt unveränderbar. Frühe Bindungserfahrungen prägen zwar die Entwicklung der Bindungsstile, aber diese können auch durch spätere Erfahrungen und therapeutische Interventionen beeinflusst werden.
Therapeutische Ansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie (CBT), emotionale Fokustherapie (EFT) und Bindungsbasierte Therapien konzentrieren sich darauf, die Sicherheit und Stabilität von Beziehungen zu fördern und unsichere Bindungsmuster zu erkennen und anzugehen. Durch die Schaffung von sicheren Bindungserfahrungen in der Therapie und im Alltag können Menschen mit unsicherer Bindung lernen, Vertrauen aufzubauen, ihre Bedürfnisse auszudrücken und gesündere Beziehungsmuster zu entwickeln.
Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass die Veränderung von Bindungsstilen ein immerwährender Prozess ist, der Zeit, Engagement und Unterstützung erfordert. Es gibt keine einfache Lösung oder schnelle "Heilung", aber mit der richtigen Unterstützung und einem therapeutischen Ansatz kann eine Verbesserung der Beziehungsdynamiken und eine Erhöhung des Sicherheitsgefühls erreicht werden.
Unterstützungsplan für die verschiedenen Bindungsstile:
Nach dieser theoretischen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Stilen haben wir dir hier einen kurzen Unterstützungsplan zur Verfügung gestellt, der dir eventuell dabei helfen kann das hier erlangte Wissen besser umsetzen zu können:
Sicherer Bindungsstil
Menschen mit einem sicheren Bindungsstil haben in der Regel gelernt, Vertrauen aufzubauen und sich sicher zu fühlen. Sie können jedoch trotzdem Unterstützung benötigen, wenn sie sich gestresst oder überfordert fühlen.
Biete eine unterstützende und verständnisvolle Umgebung. Höre aktiv zu und ermutige zur Offenheit. Gib positive Rückmeldungen und lob die Stärken und Erfolge der Person. Biete praktische Hilfe an, wenn nötig, und zeige Verständnis für ihre Bedürfnisse nach Autonomie und Raum.
Unsicher-vermeidender Bindungsstil
Menschen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil neigen dazu, Nähe zu meiden und ihre eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken. Sie können Schwierigkeiten haben, sich anderen zu öffnen und Unterstützung anzunehmen.
Gib dem Individuum Raum und respektiere ihre Grenzen. Zeige subtile Zeichen der Verfügbarkeit und Unterstützung, ohne sie zu überwältigen. Biete Unterstützung auf eine nicht-invasive Weise an und ermutige sie, ihre Bedürfnisse und Gefühle auszudrücken. Sei geduldig und einfühlsam und gib ihnen die Zeit, die sie brauchen, um sich wohl zu fühlen.
Unsicher-ambivalenter Bindungsstil
Menschen mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil haben oft ein starkes Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung, fühlen sich jedoch gleichzeitig ängstlich und unsicher in ihren Beziehungen.
Biete eine konstante und beruhigende Präsenz. Bestätige regelmäßig ihre Bedeutung und Wertschätzung. Sei geduldig und einfühlsam, wenn sie unsicher oder ängstlich sind, und zeige Verständnis für ihre Bedürfnisse nach Sicherheit und Bestätigung. Schaffe eine Atmosphäre von Vertrauen und Verlässlichkeit und ermutige zur offenen Kommunikation über ihre Gefühle und Bedürfnisse.
Desorganisierter Bindungsstil
Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil können unter traumatischen oder widersprüchlichen Erfahrungen leiden und Schwierigkeiten haben, Vertrauen aufzubauen und sich sicher zu fühlen.
Biete einen sicheren Raum für emotionale Entladung und Verarbeitung. Zeige Empathie und Mitgefühl für ihre Schwierigkeiten und biete professionelle Unterstützung an, wenn nötig. Schaffe eine Umgebung der Sicherheit und Stabilität und ermutige zur Selbstfürsorge und Selbstreflexion. Sei geduldig und einfühlsam und zeige Verständnis für ihre Schwierigkeiten, während sie an der Bewältigung ihrer traumatischen Erfahrungen arbeiten.
Indem du sensibel auf die Bedürfnisse der verschiedenen Bindungstypen eingehst, kannst du eine unterstützende Umgebung schaffen, die zur Verbesserung der Beziehung beitragen kann. Dabei ist, wie immer, zu beachten, dass wir keine therapeutische Unterstützung geben können und dieser Plan nur als Anregung zu betrachten ist.
Richtige Interpretation der Bindungsforschung:
Obwohl die Bindungsforschung wertvolle Einblicke in die Entwicklung von Attachment Styles liefert, gibt es auch einige Hinweise, die bei der Interpretation berücksichtigt werden müssen. Bindungsstile werden zum Beispiel oft als statisch betrachtet, obwohl sie eigentlich dynamisch und kontextabhängig sind.
Wie oben genannt, können Menschen im Laufe ihres Lebens neue Erfahrungen machen, die ihre Bindungsmuster beeinflussen können.
Darüber hinaus können Attachment Styles nicht einfach 1:1 auf eine Person angewendet werden. Der Bindungsstil eines Menschen kann sich in verschiedenen Kontexten und Beziehungen unterschiedlich manifestieren. Man kann zum Beispiel in romantischen Beziehungen einen sicheren Bindungsstil zeigen, während man in beruflichen Beziehungen eher unsicher-ambivalent ist.
Fazit:
Bindungsstile bieten einen wertvollen Rahmen, um Beziehungsdynamiken zu verstehen und angemessene Unterstützung für Menschen mit psychischen Problemen zu bieten. Durch ein tieferes Verständnis der eigenen und des Bindungsstils des Erkrankten können Angehörige ihre Beziehungen stärken und ihre Liebsten besser unterstützen. Trotz der gebotenen Informationen in diesem Blogpost ist es wichtig, sich, bei Bedarf, an einen Psychologen für weiterführende Unterstützung zu wenden.
Weitere Ressourcen für einen tieferen Einblick ins Thema Bindung:
Quellen
- Feeney, J. A., & Noller, P. (1990). Attachment style as a predictor of adult romantic relationships. Journal of Personality and Social Psychology, 58(2), 281–291.
- Bartholomew, K., & Horowitz, L. M. (1991). Attachment styles among young adults: A test of a four-category model. Journal of Personality and Social Psychology, 61(2), 226–244.
- Cassidy, J., & Shaver, P. R. (Eds.). (2008). Handbook of Attachment: Theory, Research, and Clinical Applications. New York: Guilford Press.
- Mikulincer, M., & Shaver, P. R. (2007). Attachment in adulthood: Structure, dynamics, and change. New York: Guilford Press.
- Bowlby, J. (1988). A secure base: Parent-child attachment and healthy human development. Basic Books.
- Urban, J. (2020). Attachment theory and its relationship with anxiety. The Kabod, 6(2). https://digitalcommons.liberty.edu/kabod/vol6/iss2/2
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