
Als der Traumatherapeut Dr. David Berceli verschiedene Situationen politischer Gewalt miterleben musste, konnte er beobachten, dass viele Menschen nach besonders belastenden und traumatischen Ereignissen den zuvor erlebten Schrecken aus dem Körper wieder heraus zitterten. Berceli fragte sich auch, warum wir in Stresszuständen häufig zittern und wie dieser Mechanismus funktioniert. Auch Tiere in freier Wildbahn aktivieren nach lebensbedrohlichen Ereignissen einen natürlichen Zitterreflex. Dieses Zittern und Schütteln kann den hohen Adrenalinspiegel im Körper wieder abbauen und hilft in einen ausbalancierten Zustand zurück zu gelangen. Bei Menschen gibt es diesen Mechanismus ebenso. Um den natürlichen Reflex des neurogenen Zitterns zu aktivieren, hat Berceli eine Reihe an Körperübungen entwickelt – nämlich TRE®.
Das Neurogene Zittern
Was ist TRE® ?
TRE® steht zunächst für „Trauma and Tension Release Exercises“ (also Anspannung und Trauma lösende Übungen“) und beschreibt einen Ablauf von sieben Körperübungen. Diese aktivieren die Psoas-Muskulatur, womit im Körper die natürliche Fähigkeit des Zitterns angeregt wird. Der anschließende Zustand des neurogenen Zitterns wird von unserem Autonomen Nervensystem gesteuert. Unser autonomes Nervensystem besteht aus drei Teilen, dem Sympathikus (Aktivität und Mobilisierung), dem Parasympathikus (Erholung und Entspannung) und dem Darmnervensystem. Es steuert normalerweise den größten Teil unserer Körperfunktionen ohne dass wir es bewusst spüren können.
Das neurogene Zittern kann sich in vielfältigen unwillkürlichen Bewegungsmustern zeigen. Verschiedene Körperteile können dabei zittern und vibrieren, sich schlängeln, schütteln oder strecken. Manchmal kommt es auch zu spontanem Lachen, wodurch sich das Zwerchfell und die Atmung entspannen. Es können dabei auch unterdrückte Emotionen auftauchen und aus dem Körpergedächtnis losgelassen werden (z.B. Negative Gefühle, Stresszustände, Ängste, Physische Belastungen oder traumatische Erfahrungen). Erfahrungen haben gezeigt, dass das Muskelzittern auch physische Beschwerden verbessern und auflösen kann (z.B. chronische Verspannungen und Schmerzen im Körper).
TRE® kann Druck, Stress und Traumata aus dem Körper entladen und das Nervensystem wieder zurück zu einem entspannten Zustand regulieren. Wichtig ist, dass es sich bei dieser Art des Zitterns nicht um ein Zeichen von Krankheit oder Schwäche handelt, sondern um einen regulativen Prozess des Nervensystems (therapeutisches Zittern). Es fördert die allgemeine Gesundheit und unterstützt unsere innere Ausgeglichenheit. TRE® ist Selbsthilfe: Sobald es erlernt ist, kann es jederzeit ohne Hilfsmittel eigenständig angewandt werden. Neurogenes Zittern kann bewusst als Entspannungsmethode eingesetzt werden, hilft aber auch direkt im Anschluss an belastende Ereignisse oder selbst viele Jahre danach. Übrigens in fernöstlichen Heiltraditionen wird das unwillkürliche Zittern schon seit Jahrhunderten eingesetzt, um Blockaden zu lösen.
Welche Wirkungen hat TRE® ?
Da das neurogene Zittern es dem Nervensystem erlaubt, sich selbst zu regulieren – zu einem Zustand der psychischen und physischen Balance, verbessert es langfristig unser Wohlbefinden und unsere Lebensqualität. Stress und Anspannung werden tatsächlich einfach abgeschüttelt, wodurch wir uns in unserem Körper wieder freier fühlen und bewegen können. Zudem erlaubt es uns Kampf-Flucht-Zustände und traumatische Körperreaktionen (z.B. Dissoziation, Freeze) aus der Vergangenheit aufzulösen. Dies macht es zu einem wertvollen Baustein auf dem Weg der Heilung von hoch-traumatisierten Menschen. Regelmäßig angewandt, kann es zur allgemeinen Stressbewältigung beitragen, die eigene Resilienz stärken und tiefe Entspannungszustände hervorrufen.
Positive Effekte können sein:
· Das Lösen von Trauma und Angst
· Loszulassen emotionaler Lasten
· Senken des allgemeinen Stresslevels
· Weniger Anspannung im Körper
· Verbesserung der Verdauung
· Tiefere Atmung
· Mehr Energie und Ausdauer
· Fördert erholsamen Schlaf
· Entspannter Umgang in Beziehungen
· Verringerung von körperlichen Schmerzen
· Regulation des Blutdrucks
· Erhöhte Flexibilität
· Mehr psychische Resilienz
Das Zittern kann auch lange nach den stressenden oder traumatischen Erlebnissen aus der Vergangenheit wieder erlernt und angewandt werden, um die alte Anspannung und emotionale Belastung zu entladen. Neurogenes Zittern ersetzt zwar keine professionelle Therapie, kann aber eine große Unterstützung auf dem Weg der Heilung von Traumata sein.
TRE® und Trauma
Oft reicht bloßes Reden meist nicht, um von schweren traumatische Wunden oder chronischen Stresssituationen wieder zu einem ausbalancierten Zustand zurück zu finden. Hinzu kommt, dass wir uns an frühe Traumata meist nicht bewusst zurück erinnern können. Eine zu rasche oder zu intensive Konfrontation mit Trauma-Inhalten birgt außerdem die Gefahr zu einer Retraumatisierung zu führen. Der Vorteil von Neurogenem Zittern liegt nun darin, dass Anspannungen aus dem Körpergedächtnis in kleinen Schritten gelöst werden können ohne bewusst darüber sprechen zu müssen oder gar alle Details des vergangenen Schreckens zu kennen. Da Neurogenes Zittern ein autonom stattfindender Prozess ist, bekommen wir Zugriff auf unser unbewusstes Geschehen. Es hilft auch dem, bei Trauma oft abgespaltenen, Körper wieder zu vertrauen und ein dysreguliertes Nervensystem zu entspannen.
Trauma läuft in normalerweise verschiedenen Schritten ab: dem Überleben der Situation, dem anschließenden Entladen der überschüssigen Energie (wenn die Gefahr vorbei ist) und dem Entspannungszustand (sich wieder „sicher“ fühlen). Oft wird die körperliche Entladung bzw. das Zittern aber unterdrückt, da wir durch Sozialisierungsprozesse gelernt haben, es könne ein Ausdruck für Schwäche sein. In diesem Fall wird die zweite Phase (Entladen der Anspannung aus dem Körper) ausgelassen und es kommt zu „eingefrorenen“, also starren Körperanteilen. Zusätzlich fühlen wir uns nicht sicher oder sind chronisch angespannt, da dem Gehirn vom Körper immer noch ein Überlebenszustand signalisiert wird. All dies wird vom Hirnstamm festgehalten und autonom gesteuert. Durch das Zittern werden also diese alten Anspannungen im Körper nach und nach wieder losgelassen. Viele traumatisierte Menschen erleben auch, dass sich durch Neurogenes Zittern langsam ihre individuellen Trigger abbauen. Wer TRE® zur Traumaheilung mit einsetzen möchte, sollte sich aber am besten eine qualifizierte Begleitung suchen und in kleinen Schritten vorgehen.
Neurogenes Zittern erlernen
Für wen ist TRE® ?
Prinzipiell ist das neurogene Zittern für alle und in jeder Lebensphase geeignet. Es hilft auf natürliche Weise das Nervensystem zu entspannen und Stress loszulassen. In einigen Fällen von schweren Erkrankungen (z.B. bei Epilepsie, direkt nach Operationen, Psychosen) wird jedoch davon abgeraten. Besonders hilfreich kann es allerdings sein bei psychischen Beschwerden wie: Traumata, Ängste und Depression, belastende negative Emotionen, Erschöpfung & Überlastung, Schlafprobleme, Trauer, Innere Unruhe & Reizbarkeit, Beziehungskonflikte, Stress & Druck.
Es gibt zudem viele Berichte von Personen, bei denen TRE® folgende Probleme erleichtern oder beheben konnte: Schmerzen, Verspannungen, Hohem Blutdruck, Zähneknirschen, Chronische Erkrankungen oder Atemschwierigkeiten. Aber auch für gesunde Menschen kann Neurogenes Zittern beispielsweise zur Erholung von Sport & Körperlicher Anstrengung, zu mehr Lebendigkeit, oder zur Entspannung und Selbsterfahrung beitragen.
Wie kann es erlernt werden?
Wenn vergangene Traumata bekannt oder körperliche Beschwerden vorhanden sind, so ist es ratsam die Übungsreihe zum Neurogenen Zittern mit professioneller Unterstützung zu erlernen. Generell wird meist empfohlen 3-5 Sitzung unter Anleitung zu machen. Bei Bedarf kann man sich auch über mehrere Sitzungen begleiten lassen, was bei einem zertifizierten TRE®-Provider möglich ist. Wer Neurogenes Zittern dennoch selbstständig ausprobieren möchte findet dazu Anleitungen in Büchern oder in offiziellen Videos (z.B. von David Berceli). Wer erfahren hat wie es funktioniert, kann es immer und überall für sich einsetzten.
Fazit
Bewegung lässt uns die Lebendigkeit des Lebens spüren. Wenn zu viel Druck und Anspannung unseren Körper belasten, so zeigt sich dies in verschiedenen physischen und psychischen Beschwerden und Einschränkungen. Neurogenes Zittern kann ein hilfreicher Bestandteil beim Auflösen von Spannungen und Abbau von Stress sein. Es kann zudem wesentlich zur Heilung von vergangenen traumatischen Erlebnissen beitragen. TRE® kann leicht erlernt werden und lebenslanger Begleiter sein, um immer wieder in Balance zurück zu gelangen. Das gesunde Muskelzittern wird sowohl therapeutisch als auch präventiv angewandt und ist ein autonom ablaufender Prozess unseres Nervensystems, den wir jederzeit je nach individuellem Bedarf an und ausschalten können.
Quellen
Beattie, J., & Berceli, D. (2021). Global Case study: The effects of TRE on perceived stress, flourishing and chronic pain self-efficacy. TRE Research Page https://traumaprevention. com/research/(Unpublished Paper).
Berceli, D. (2005). Trauma Releasing Exercises.
Berceli, D. (2009). Evaluating the effects of stress reduction exercises employing mild tremors: a pilot study. Master's thesis. Phoenix (AZ): Arizona State University.
Berceli, D., Salmon, M., Bonifas, R., & Ndefo, N. (2014). Effects of self-induced unclassified therapeutic tremors on quality of life among non-professional caregivers: A pilot study. Global advances in health and medicine, 3(5), 45-48.
Nibel, H., Fischer, K. (2020). Neurogenes Zittern. Stress & Spannungen lösen. Trias Verlag
· https://traumaprevention.com/wp-content/uploads/2015/06/McCann.2011.pdf
https://www.yogaeasy.de/artikel/neurogenes-zittern-gegen-stress
*Mehr Studien findet ihr hier: https://traumaprevention.com/research/
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