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Stressbewältigung bei Einsatzkräften: Was Angehörige davon lernen können



Bewusste Freizeitgestaltung ist ein wichtiger Bestandteil der Stressbewältigung von Einsatzkräften und Angehörigen

Trotz unterschiedlicher Alltags-Erfahrungen haben Einsatzkräfte und Angehörige psychisch Erkrankter eine erstaunliche Anzahl an Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Psychische Belastungen durch anhaltende Erschöpfung, Verantwortungsgefühl, häufige Wechsel zwischen Mitgefühl und Frustration, Rollenkonflikte, Kommunikationsprobleme, Angst, Sorgen oder sogar Gefühle von Hilflosigkeit; sie alle stellen eine Herausforderung für beide Gruppen dar. In den USA der 1980er- und 1990er-Jahren haben Jeffrey Mitchell und George Everly speziell für Einsatzkräfte das sogenannte „Stressmanagement nach kritischen Ereignissen“ entwickelt (Critical Incident Stress Management, kurz „CISM“). Wir zeigen dir, was den Helfern von Rettungsdienst, Feuerwehr und THW empfohlen wird und was du als Angehörige:r davon lernen kannst.

 

Inzwischen sind Systeme nach dem CISM-Vorbild bei den meisten Rettungs- und Einsatzorganisationen in Deutschland im Einsatz. Dort werden insbesondere sogenannte Peers (wie „Gleichgestellte“) geschult, die selbst als Einsatzkräfte in der jeweiligen Organisation tätig sind. Damit wird gesichert, dass Peers die Belastungen aus dem Einsatz aus eigener Erfahrung kennen. Sie können sich auf Augenhöhe mit betroffenen Einsatzkräften unterhalten und praktische Unterstützung für stressige Situationen anbieten. Ziel der Maßnahmen ist die Reduktion von Häufigkeit, Dauer und Schweregrad der Stressbelastung nach dem Einsatz. Die Einsatzfähigkeit soll möglichst rasch wiedererlangt werden, chronischen Symptomen wird vorgebeugt. Nur in besonderen Fällen müssen Peers Einsatzkräfte an professionelle Spezialisten weitervermitteln. Im groben Überblick bestehen die Maßnahmen aus Vorbereitung, Notfall- und Nachbetreuung. Für dich als Angehörige:r besonders von Interesse sind dabei die Tipps zur Vorbereitung, also der Prävention von Stressbelastung. Um dir eine Vorstellung des Kontextes geben zu können, stellen wir dir aber auch die betreuenden Maßnahmen kurz vor.


Ist ein Einsatz aufgetreten, der ein besonderes Potenzial für hohe Stressbelastung der Einsatzkräfte mit sich gebracht hat, erfolgt routinemäßig die Alarmierung der Peers. Gründe sind zum Beispiel persönliche Betroffenheit, schwere Verkehrsunfälle, Suizide oder lange Einsatzdauer. Diese Notfallbetreuung findet häufig in einem geschützten Raum statt, in einer Gruppe aus allen Einsatzkräften, die am Einsatz beteiligt waren. Im offenen Gespräch klären die Peers dringende Bedürfnisse, arbeiten Ressourcen heraus und fokussieren Aufgaben, die den Betroffenen bevorstehen. Es geht um emotionale Entlastung durch Austausch in der Gruppe aus Gleichgesinnten und darum, dass Betroffene das Erlebte bewusst rekonstruieren und strukturieren. Niemand wird zur Mitarbeit gezwungen, der Ton ist wertschätzend und verständnisvoll. Sicherheit, Beruhigung, Selbstwirksamkeit, Verbundenheit und Zukunftsorientierung bilden zentrale Elemente des Gesprächs. Zu diesem Zweck vermitteln Peers hier auch Kenntnisse über Stress und Stressmanagement. Welche körperlichen und psychologischen Folgen sind in den nächsten Tagen zu erwarten? Wie können sich diese anfühlen? Wie kann ich damit umgehen? Wie verhalte ich mich in dieser Zeit?


Idealerweise müssen die Antworten hierzu nur noch einmal aufgefrischt werden, denn als präventiver Bestandteil von CISM erfolgt neben dieser Betreuung auch die oben erwähnte Vorbereitung der Einsatzkräfte in ihrer Grundausbildung. Die Inhalte dieser Präventionsschulung sind für Angehörige besonders von Interesse, da Kenntnisse zum Umgang mit regelmäßig erlebtem Stress vermittelt werden.


Als Symbol wird zum Beispiel mit einem Glas Wasser gearbeitet. Der Wasserstand steht für das persönliche Stress-Level. Bereits beim Aufwachen ist das Glas etwas gefüllt, wenn der Wecker klingelt etwas mehr, das Bad ruft, die Arbeit wartet. Der Wasserstand steigt weiter, was aber nicht nur Nachteile hat. Dein Antrieb, die Aufgaben und Herausforderungen des Tages anzugehen, kann von einem ausreichend gefüllten Glas durchaus profitieren. Als Angehöriger bekommst du jedoch zum Beispiel schlechte Nachrichten aus der Familie obendrauf, als Einsatzkraft wirst du vielleicht zu einem anstrengenden Einsatz gerufen. Dann steigt dein Stress-Niveau schnell, der Wasserstand erhöht sich deutlich. Wenn du dich davor ausgeglichen gefühlt hast, fällt dir der Umgang damit in den meisten Fällen deutlich leichter. War das Wasserglas aber bereits fast voll, läuft dein Stress über. Du reagierst eventuell mit schnellem Herzschlag, Schwitzen, Müdigkeit, schlechter Laune oder einem Gefühl der Überforderung.


Laut der wissenschaftlichen Forschung der CISM-Entwickler Mitchell und Everly gibt es besonderen Nachweis dafür, dass eine aktive Selbstfürsorge dein so aufgestautes Stress-Level kontrollieren kann. Das kann beginnen mit einem kurzen Strecken des ganzen Körpers oder einem knappen Entspannungsritual, geht weiter über lesen oder schreiben, spazieren gehen, Baden, Radfahren, Putzen Fernsehen, bewusstem Rückzug und geht hin zu sozialen Aktivitäten wie gemeinsam kochen, spielen, singen oder eine Veranstaltung zu besuchen. Es besteht hier keine allgemeine Regel. Gefragt bist du: Welche Aktivität kannst du heute tun, damit es dir morgen besser geht?

 

Im anstrengenden Alltag ist es oft leichter gesagt als getan, entsprechende Zeit für die kleinen Freuden beiseite zu räumen. Sowohl Angehörige psychisch Erkrankter als auch Einsatzkräfte teilen sich den Druck, allzeit bereit und belastbar sein zu wollen. Das Maximum ist jedoch auf Dauer nicht das Optimum. Wenn du es schaffst, dir immer wieder mal ein paar Momente für dich zu nehmen, wird es dir dein Wasserstand danken.

 

Quellen

Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/wasserglas-wasser-tisch-blumen-8108928/

Hausmann, C. (2021). Interventionen der Notfallpsychologie: Was man tun kann, wenn das Schlimmste passiert (2. Aufl.). Facultas.

Lasogga, F., & Gasch, B. (2014). Notfallpsychologie: Ein Kompendium für Einsatzkräfte (3. Aufl.). Stumpf + Kossendey.

Nikendei, A. (2017). Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV): Praxisbuch Krisenintervention (2. Aufl.). Stumpf + Kossendey.

 

 

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