
Soziale Phobie verstehen
Was ist eine soziale Phobie?
Menschen die unter einer sozialen Phobie/sozialen Angststörung leiden, haben Angst davor von anderen Menschen negativ bewertet beziehungsweise beurteilt zu werden. Konkret befürchten sie, dass sie sich falsch verhalten könnten oder wegen einer ihrer Eigenschaften kritisch bewertet zu werden. Diese Befürchtungen treten im Kontext von sozialen Ereignissen wie beispielsweise dem Präsentieren eines Vortrages, einem Bewerbungsgespräch oder dem Besuch eines Konzertes auf. Neben diesen Situationen können sie aber auch schon bei „unbedeutenderen“ Ereignissen auftreten wie beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, bei einer Bestellung im Restaurant oder beim Flanieren durch die Stadt.
Was sind die Symptome bei einer sozialen Phobie?
Die Symptome einer Angststörung können vielfältig und individuell auftreten. Diese können sich in unterschiedlichen körperlichen Reaktionen manifestieren: das Herz fängt an zu rasen, man beginnt zu schwitzen, die Muskeln spannen sich an und/oder man bekommt Übelkeitsgefühle etc. Die beschriebenen Symptome können so stark ausgeprägt sein, dass man in diesem Zusammenhang auch von einer sogenannten ‚Panikattacke‘ sprechen kann. Eine typische Befürchtung von den Betroffenen ist, dass sie annehmen, andere könnten diese Symptome bemerken und negativ bewerten.
Wann wird sie diagnostiziert?
Im Kontext der sozialen Phobie wird eine hohe Dunkelziffer angenommen, weil Betroffene nur selten wegen ihrer Angst eine ärztliche Unterstützung oder psychotherapeutische Beratung in Anspruch nehmen. Die Autoren Bandelow und Wedekind (2014) geben an, dass sich insgesamt nur 35% der Patienten behandeln lassen.
Laut einer Studie von Asher und Aderka (2018) leiden Frauen im Vergleich zu Männer häufiger an einer sozialen Phobie und fühlen sich subjektiv stärker belastet. Bei Männern tritt im Gegensatz zu Frauen häufiger eine komorbide (= sekundäre/zusätzliche) Störung des Substanzmissbrauchs und Verhaltens auf. Bei Frauen treten jedoch häufiger komorbide spezifische Phobien, generalisierte Angststörungen sowie posttraumatische Belastungsstörungen auf. Eine rechtzeitige Diagnose sowie therapeutische Intervention ist ausschlaggebend für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von komorbiden Störungen wie beispielsweise Depressionen oder Substanzmissbrauch.
Die Diagnose einer sozialen Phobie F40.1 kann anhand der gängigen ICD-10 Kodierung oder nach den Kriterien des DSM-V erfolgen. Das DSM-5 beschreibt insgesamt 10 Kriterien die erfüllt sein müssen, um eine soziale Phobie zu diagnostizieren. Zusätzlich arbeiten Therapeuten im Rahmen der Diagnosestellungen oft mit Fragebögen, um ein differenziertes Bild über die angstauslösenden Situationen des Patienten zu erlangen.
Kreislauf der sozialen Phobie
Charakteristisch für die soziale Phobie ist, dass sie in der Regel im Jugendalter das erste Mal auftritt. Ursächlich für das Auftreten werden traumatische oder andere negativ konnotierte Lebenserfahrungen, genetische Einflüsse und/oder neurobiologische Dysfunktionen als mögliche Faktoren diskutiert. In der Praxis berichten Betroffene häufig von belastenden Geschehnissen aus der Kindheit/Jugend. Ein solches Ereignis stellt zum Beispiel die Trennung der Eltern, aber auch ein ungünstiger Erziehungsstil (überbehütend oder autoritär) dar. Die Autoren Bandelow und Wedekind (2014) verweisen darauf, dass die soziale Phobie familiär gehäuft auftritt und in der Regel chronisch verläuft. Betroffene nehmen daher regelmäßig eine Langzeitbehandlung in Anspruch.
soziale Situation > Angstsymptome > Vermeidung > soziale Isolation
Wie wird sie behandelt?
Die gängigste Intervention ist das kognitiv-behaviorale Verfahren. Bei der kognitiv-behavioralen Therapie (Verhaltenstherapie) ist das zentrale Element das Aufsuchen von den mit Angst verbundenen sozialen Situationen. Dies erfolgt entweder durch sogenannte Konfrontationsübungen bei denen der Therapeut den Patienten in den betreffenden Situationen begleitet und diese mit ihm gemeinsam durchsteht.
Medikamentös kann die soziale Phobie dem individuellen Fall entsprechend mit Selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRIs), Selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRIs) oder MA0-Hemmern behandelt werden.
ACHTUNG: Benzodiazepine als angstlösende Medikamente einzusetzen birgt ein hohes Abhängigkeitsrisiko!
Tipps für Angehörige
Partner, Eltern, Kinder oder andere dem Betroffenen nahestehende Personen sind häufig indirekt betroffen, fühlen sich hilflos und suchen nach Möglichkeiten die betroffenen Personen zu unterstützen. Die folgenden Punkte sollen als Richtungsweiser dienen, um Angehörigen weiterzuhelfen:
Die soziale Phobie sollte nicht mit Schüchternheit verwechselt oder gleichgesetzt werden. Eine soziale Phobie grenzt sich von der Schüchternheit durch die erhebliche Stressbelastung in sozialen Situationen ab. In diesen wird mit ausgeprägter Angst/Furcht reagiert, das zu Vermeidungsverhalten führen kann.
Meistens erscheinen für viele Angehörige die Ängste der Betroffenen aus objektiver Sicht als irrational. Diese Sichtweise kann einen Konflikt sowohl im Inneren als auch mit den Betroffenen selbst verursachen. Gefühle des Ärgers, der Verständnislosigkeit oder der Hoffnungslosigkeit können auf lange Sicht dazu führen, dass Angehörige selbst unter psychischen Erkrankungen leiden. Wichtig ist daher zu versuchen, die soziale Phobie in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren, um die inneren und äußeren Konflikte zu lösen.
Um das Krankheitsbild besser zu verstehen, können diverse Informationsquellen herangezogen werden, wie beispielsweise Ratgeber, Selbsthilfegruppen für Angehörige oder Therapeuten.
Es gibt einen wesentlichen Aspekt bei der Hilfeleistung als Angehöriger: „[…] die Lösung der Schwierigkeiten [kann] nur durch den Betroffenen selbst erfolgen […]“ (Consbruch & Stangier, 2021, S. 81). Das klingt zunächst hart, aber nimmt man dem Betroffenen zu viel ab, kann es sein, dass dieser die Überzeugung erlangt nicht allein zurecht zu kommen. Als Angehöriger kann man am besten die betroffene Person unterstützen indem man sie lobt, ihr zuhört und sie ermutigt, sich neuen Situationen zu stellen. Dies trifft im Übrigen auch für Angehörige zu, die Eltern von einem betroffenen Kind sind. Eltern müssen nicht ein perfektes, angstfreies Vorbild darstellen. Es kann durchaus helfen, wenn Kinder in ihrer Entwicklung mitbekommen, dass ihre Eltern auch mal nervös oder ängstlich vor etwas sind. Sie lernen dadurch, dass man nicht jede Situation im Leben selbstsicher und fehlerfrei lösen muss.
Es ist wichtig seine eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren und sein eigenes soziales Netzwerk weiterhin zu pflegen. Das bedeutet, man sollte nicht mit Rücksicht auf die betroffene Person selber soziale Aktivitäten meiden. Ansonsten könnte langfristig die Beziehung sowohl zur betroffenen Person als auch zum nahestehenden Umfeld des Angehörigen gefährdet werden oder der Angehörige wird zunehmend unzufrieden mit seinem eigenen Leben.
Quellen
Asher, M. & Aderka, I. M. (2018). Gender differences in social anxiety disorder. Journal of clinical psychology, 74(10), 1730–1741. https://doi.org/10.1002/jclp.22624
Bandelow, B. & Wedekind, D. (2014). Soziale Phobie. Der Nervenarzt, 85(5), 635-644;. https://doi.org/10.1007/s00115-013-3955-9
Bohn, C. & Stangier, U. (2009). Soziale Phobie: Diagnistik, Ätiologie und Behandlung. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57(3), 149–159. https://doi.org/10.1024/1661-4747.57.3.149
Consbruch, K. von & Stangier, U. (2021). Ratgeber Soziale Phobie: Informationen für Betroffene und Angehörige (2. Aufl.). Ratgeber zur Reihe Fortschritte der Psychotherapie: Band 45. Hogrefe. https://elibrary.hogrefe.com/book/10.1026/02975-000 https://doi.org/10.1026/02975-000
Fehm, L. & Knappe, S. (2020). Soziale Angststörung. In J. Hoyer & S. Knappe (Hrsg.), Lehrbuch. Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Aufl., S. 1121–1140). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1_49
Schäfer, U. & Rüther, E. (2005). Ängste - Schutz oder Qual? Angststörungen - ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. ABW, Wiss.-Verl.